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Die Musik und ihr Kreis

Zum Weltfrauentag ehren wir eine ganz besondere Protagonistin: die Musik selbst
Eike Rathgeber

Published: 04 March 2025

Am 8. März eine Frau zu würdigen, ist nicht nur eine feine Sache, sondern entspricht auch guter Tradition, weshalb es hier eine unserer beliebtesten Protagonistinnen betrifft, die keinen ganz unberührt lässt, denn es handelt sich um die Musik selbst.

Denn dass die Musik weiblich ist, hat bisher ja noch niemand bestritten. «Io, la musica», so klingen die Verse aus Monteverdis Oper «Orfeo» überall nach, der damit – auch wenn er am Anfang unserer Operntradition stehen mag – doch nur Allbekanntes zitiert. So tief in der Antike ist die Idee verwurzelt, dass ihre Ursprünge sich ganz und gar in ferner Vergangenheit verlieren.

«Io la Musica son, ch’ai dolci accenti
Sò far tranquillo ogni turbato core,
Et hor di nobil ira et hor d’Amore
Poss’infiammar le più gelate menti.»

    Die Macht der Musik

    Sie also, die Musik, sie vermag alles, auch die erstarrtesten Sinne schmelzen, dem Herzen Ruhe schenken, zur Liebe, aber auch zum Zorn ermutigen. Man könne es gar nicht oft genug betonen, vermeinen die allegorischen Damen in vielen dramatischen Werken, was bereits Guillaume de Machaut in seinem berühmten Prologue aus dem 14. Jahrhundert eindrücklich festhielt: Die Musik hat die Mittel, um alle zu bezaubern, gleichermaßen in Entzücken wie Vernunft zu entführen, Leiden zu heilen, Trauer zu nehmen, die Seele zu beruhigen und Frieden zu schenken. Wer also, wer würde dieser Dame nicht seine Bewunderung zollen? Wer wäre ihr nicht gern zu Diensten?

    «Et Musique est une science
    Qui vuet qu’on rie et chante et dance.
    Cure n’a de merencolie
    Ne d’homme qui merencolie
    A chose qui ne puet valoir,
    Eins met tels gens en nonchaloir.
    Partout ou elle est, joie y porte ;
    Les desconfortez reconforte,
    Et nés seulement de l’oïr
    Fait elle les gens resjoïr.
    N’instrument n’a en tout le monde
    Qui seur musique ne se fonde,
    Ne qui ait souffle ou touche ou corde
    Qui par musique ne s’acorde.»

    «Und Musik ist so gemachet,
    daß man tanzt und singt und lachet,
    Schwermut ist ihr gar nichts wertden Menschen, welcher sich verzehret
    um Dinge, die ganz ohn’ Gewicht:
    der gleichen Menschen mag sie nicht.
    Wo immer sie weilt bringt sie Freuden
    und Trost allen denen, die leiden,
    und wem sie das Ohr nur berührt,
    der hat das Glück schon verspürt.
    Die Musik gab Leben allen
    den Instrumenten, die erschallen,
    ob Atem, ob Tasten, ob Saiten, sie kamen
    durch die Musik im Einklang zusammen.»

    (Übertragung aus dem Französischen: Ellen Bosenius und Günther Massenkeil, 1961)

    Die Musik bleibt weiblich

    Lassen wir vorderhand einmal beiseite, dass in diesem Ideal – wie in so vielen Wunschbildern – die Wirklichkeit nicht immer alles hält, was versprochen wurde. Schließlich sind die Mittel der Musik auch durchaus hinreichend, um arme Soldaten in den Krieg zu trommeln, ganze Volkserhebungen in fatale Richtungen zu wenden oder noch die schaurigsten Gegebenheiten mit ihrem sanften Zauber zu verschönern!  Oder sie tut nichts von alledem, ihre Wirkung bleibt fahl, wir finden keinen Zugang, und sie ist schrecklich fern …

    Dennoch – was immer sie tut – sie bleibt weiblich! Nicht einmal in der artifiziellsten Sprache Europas, dem Tschechischen, wo zwar auf die griechische Etymologie in ihrer Bezeichnung verzichtet, aber nicht am genus gerüttelt wurde, nein, selbst dort sollte sich daran nichts ändern! Hudba – sie, die Musik – war es, der Bedřich Smetana und Antonín Dvořák, Leoš Janáček und Bohuslav Martinů gleichermaßen und auf so wunderbare Weise huldigten. Bei Sonne und Mond konnte man sich nie einigen, auch der Tod kann in den verschiedenen Sprachen männlich oder weiblich konnotiert werden, nicht aber die Tochter der Musen, die die Technik beherrscht, unsere Luft in Schwingung zu versetzen und damit Klänge zu erzeugen.

    Drum nimmt es nicht wunder, dass sich im Kreis ihrer Bewunderer zuallererst einmal eine stattliche Anzahl männlichen Personals findet, das vom mythologischen Orpheus angeführt bedeutende Interpreten zu verzeichnen hat. Einer der ihren ist Daniel Harding, der zu den glänzendsten Dirigenten der jüngeren Generation zählt, und er wird am 4. September 2025 ein Konzert mit Rudolf Buchbinder und Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur sowie mit der 2. Symphonie in D-Dur von Johannes Brahms leiten. Unter ihm wird das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia musizieren, eine römische Institution, die nach der Schutzheiligen unserer Protagonistin, der heiligen Cäcilie, benannt wurde.

    Rudolf Buchbinder
    Rudolf Buchbinder © Sebastian Philipp

    Wenn man nun an all die wunderbaren Kompositionen zu ihren Ehren denkt – die Cäcilienoden von Henry Purcell oder Georg Friedrich Händel etwa («Orpheus could lead the savage race, and trees, unrooted, left their place, sequacious oft the lyre. But bright Cecilia raised the wonder high’r: When to her organ, vocal breath was giv’n, an angel heard, and straight appear’d, mistaking earth for Heav’n. As from the pow’r of sacred lays the spheres began to move», HWV 76), die uns ganz direkt in die lichtesten Höhen ihrer Kunst entführen, vergisst man gern, dass die historische Märtyrerin einiges durchzustehen hatte, bevor man ihr gewissermaßen zum Trost den Schutz der Kirchenmusik anvertraute.

    Ihren Leidensweg nachzuzeichnen hat 1708 Allessandro Scarlatti in seinem Oratorium «Il martirio di Santa Cecilia» auf ein Libretto Kardinal Pietro Ottobonis unternommen, bei dessen Uraufführung in Rom auch der junge Georg Friedrich Händel anwesend war. Darin wird ihre Standhaftigkeit im Angesicht der drohenden Todesstrafe kunstvoll durch zwei umfangreiche Abschnitte mit blutigem Schluss-Show-Down vertont, und an manche Szene darin mag Händel sich bei der Vertonung seiner «Theodora» aus dem Jahr 1750 erinnert haben. Franz Liszt folgte ihrem Lebensweg in einer «Legende» für Sopran, Chor und Orchester, während Benjamin Britten, der seinen Geburtstag am 22. November just an ihrem Ehrentag feierte, mitten im II. Weltkrieg ein a-Cappella-Chorstück auf einen Text von Wyston Hugh Auden zu ihren Ehren komponierte. Die Reihe der musikalischen Würdigungen ist lang, denn ganz aus dem Gedächtnis ist sie nie verschwunden, und das ganz besonders an ihrem Gedenktag, an dem man auch heute noch die unbeugsame Christin verehrt.

    © Lisa Edi

    Das Orchester, das ihren Namen trägt, wurde von der altehrwürdigen Accademia Nazionale di Santa Cecilia (als Kongregation im Jahre 1585 entstanden) im Jahre 1908 gegründet und ist bis heute dem Konservatorium eng verbunden. Zu seinen Dirigenten durfte es schon bisher die bedeutendsten Musiker des 20. Jahrhunderts zählen, darunter Gustav Mahler, Claude Debussy, Richard Strauss oder Igor Strawinski, und es wird wohl mehr und mehr auch weibliche Orchesterleiter berufen, wie dies beim Orchestre Philharmonique de Radio France im Konzert am 31. August 2025 bereits der Fall ist.

    Denn das Personal am prächtigen Hof der Musik hat sich inzwischen aufs Vielfältigste erweitert, und immer mehr Damen sind in ihre Dienste getreten, darunter die beeindruckende Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die zuletzt mit Mieczysław Weinbergs Oper «Der Idiot» einen fulminanten Erfolg bei den Salzburger Festspielen feiern konnte. Sie wird in Grafenegg einen Abend dirigieren, der dem beginnenden 20. Jahrhundert gewidmet ist, mit Edward Elgars Cellokonzert und Julia Hagen als Solistin, Claude Debussys «La Mer» und Maurice Ravels «Boléro».

    Mirga Gražinytė-Tyla
    Mirga Gražinytė-Tyla © Frans Jansen

    Wobei die Funktion der Orchesterleitung wohl tatsächlich die jüngste unter den Posten im Dienst der Musik darstellen dürfte, denn eigentlich benötigte man diese in den vielen Jahrhunderten vor der klassisch-romantischen Tradition gar nicht. Die Komponisten trugen ihre eigenen Werke vor und motivierten Gleichgesinnte zum Mitwirken: Beim Singen, mit dem Geigenbogen, am Cembalo, mit dem Marschallstab, durch den sich Jean-Baptiste Lully angeblich eine Blutvergiftung zuzog, oder mit der Notenrolle in der Hand. Viele Abbildungen haben sich davon erhalten, wie engagierte Musiker gleichermaßen den Ausführenden wie ihren Zuhörern gerecht zu werden versuchen. Freilich, je umfangreicher das Orchester, je ausgefeilter die Instrumentation wurde, umso weniger konnte ein einzelner Instrumentalist das Ganze allein überblicken. Und wohl erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden sich die neuen Regenten des Klanges vor einem riesigen Kollektiv von Musizierenden – erstmals mit dem Publikum im Rücken – und sie bringen dann die Komposition eines anderen zur perfekten Aufführung als Folge dieser höchst ausdifferenzierten Spezialisierung.

    Der Erfolg dieses ganz und gar modernen habitus, der besonders maskulin geprägt ist, täuscht allerdings leicht darüber hinweg, dass schon viele Jahrhunderte vor der Erzählung von Orpheus, nämlich rund ums Jahr 2400 v. Chr. während der fünften Dynastie, Hekenu, eine ägyptische Harfenistin, und ihre offensichtlich ebenso berühmte Kollegin, die Sängerin Iti, auf einer Abbildung festgehalten wurden, weil die beiden den Klang der Gestirne so einzigartig zu den Menschen tragen konnten. Musiker:innen sind es also, denen die frühesten Darstellungen gelten, und auch ihre Chefin war weiblich, denn es war die Göttin Hathor, die Goldene, die für die Musik zuständig war, weshalb ihr Abbild als stehende Frau mit Kuhgehörn und Sonnenscheibe entsprechend viele altägyptische Musikinstrumente zierte.

    Verwunderlich bleibt daher, obwohl wir Musikerinnen als Sängerin oder Instrumentalistin ganz selbstverständlich in allen Zeiten verorten, dass wir die Professionalität ihrer Kunstausübung nicht immer mitbedenken. Die Damen im Alten Ägypten betrieben ihre Kunst wohl nicht nur zum Vergnügen, sondern verdienten sich damit ihren Lebensunterhalt. Ihnen folgten zu allen Zeiten Sängerinnen, die allein im kirchlichen Rahmen von Knaben ersetzt wurden. Selbst wenn viele von ihnen nicht wie Laura Peverara, Livia d’Arco und Anna Guarini, die Mitglieder des Concerto delle donne in Ferrara um 1580, zu den vermögenden Stars ihrer Zeit gezählt haben mögen, wirkten sie doch immer schon am Klang ihrer Zeit tatkräftig mit und mussten dafür von Kindesbeinen an ausgebildet und gefördert worden sein: denn Musik, so viel ist gewiss, braucht viel Übung.

    Einen kleinen Ausschnitt aus der großen Anzahl musizierender Damen werden deshalb Christina Pluhar und ihr Ensemble L’Arpeggiata am 24. August 2025 vorstellen, in einem Konzert, das sowohl Komponistinnen und Musikerinnen, aber auch den darin besungenen Schicksalen von Frauen gewidmet ist. Sie spannt den Bogen über Kontinente hinweg von Europa bis nach Südamerika, und sie stellt traditionelle Musik aus verschiedenen Kulturen, aber auch Werke von Francesca Caccini und Barbara Strozzi vor, den strahlenden Meisterinnen des frühen italienischen Barock, deren Lebenslauf als Mitglieder prominenter Theoretikerfamilien noch einmal ganz neue Perspektiven eröffnete. Aber das ist eine andere Geschichte.

    Christina Pluhar
    Christina Pluhar © Michal Novak
      Christina Pluhar
      Matinees Festival Weekend 2 Festival Matinee
      24/08/2025 Su 11.00

      L'Arpeggiata

      Christina Pluhar

      L’Arpeggiata · Céline Scheen · Luciana Mancini · Benedetta Mazzucato · Vincenzo Capezzuto · Christina Pluhar

      «WONDER WOMEN» MUSIC FROM AND ABOUT WOMEN

      Auditorium
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