Composer in Residence's trees
A tradition
The historic landscape garden of Grafenegg is characterised by a large number of tree species, some of which are exotic. Since 2007, a new tree has been added each year during the festival, planted by the respective Composer in Residence. Ewald Baringer looks back on the tradition of the Composers' trees.
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«Einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und einen Sohn zeugen»: Dieses geflügelte Wort über die rechte Lebensweise eines Mannes samt diversen Abwandlungen wird zahlreichen angeblichen Urhebern zugeschrieben, von Martin Luther und Montesquieu über den Talmud und die alten Chinesen bis zu Picasso, und fast ist es schon ein Wunder, dass es nicht auch Einstein unterschoben wird, dem im Internet heutzutage so ziemlich jedes Zitat in den Mund gelegt wird, obwohl sein bekanntester Ausspruch ja lautet: «Du sollst nicht alles glauben, was im Internet steht.»
In Grafenegg jedenfalls hat man sich 2007 dazu entschlossen, die jährlichen Composer in Residence zur jeweiligen Pflanzung eines Baums zu ermuntern. Das ist auch sinnvoll, denn Gebäude stehen ja schon da, und ins Intimleben der Komponist:innen will man sich dezenter Weise auch nicht einmischen. Nun stehen zwar im 300 Jahre alten Schlosspark doch ohnehin schon viele Bäume, könnte man einwenden, sogar etliche seltene und altehrwürdige Exemplare, aber darum geht es ja gar nicht. Vielmehr ist es ein Zeichen fortwährender Verbundenheit zwischen demjenigen, der den Baum pflanzt, und dem Ort des Geschehens und seinen Besuchern. Und wenn noch dazu auf einer Tafel der Name des Betreffenden nachzulesen ist – ah, Penderecki!
Krzysztof Penderecki (1933 – 2020) aus Polen, eine Legende schon zu Lebzeiten, war im Jahr 2007 erster Composer in Residence in Grafenegg. Er hat ein enormes Werk hinterlassen, von der Lukas-Passion und dem «Dies irae» über den Klangflächen-Klassiker «Anaklasis» bis zu Opern wie «Die Teufel von Loudun», und darin immer wieder zeitgeschichtlichen Bezug genommen, von den Opfern in Hiroshima («Threnos») bis zu den jenen der Terroranschläge in New York 2001 («Resurrection»). Zur Aufführung gelangten in Grafenegg dann ein umgeschriebenes Adagietto aus der Oper «Paradise Lost» und ein Mstislav Rostropowitsch zugeeignetes Largo, interpretiert vom wunderbaren, ebenfalls unvergessenen Heinrich Schiff.
Im südpolnischen Lusławice, etwa 100 Kilometer östlich von Krakau, hat Penderecki auf seinem Landgut ein Arboretum angelegt, das auf 30 Hektar über 1.700 Baumarten versammelt. Sein Urgroßvater war Förster gewesen. Einen leidenschaftlicheren Baumliebhaber als Penderecki hätte man nicht bald finden können. In seinem Buch «Labyrinth of Time» (1998) vergleicht er sein Arboretum mit einer Arche Noah. «Keine Kunstform kann überleben, wenn sie keine Wurzeln hat. Schauen wir uns doch ganz einfach einen Baum an: er lehrt uns, dass ein Meisterwerk sowohl im Himmel als auch in der Erde verwurzelt sein muss.»
Keine Frage, Penderecki war ein weiser Mann. In Grafenegg eingesetzt hat er einen rotlaubigen Trompetenbaum, Catalpa erubescens Purpurea. Dunkelrot im Austrieb, im Sommer grün, weiße Blüten, Gelbfärbung im Herbst. Übrigens, Kinder gab es auch in seinem Leben: einen Sohn und zwei Töchter. Kurz vor seinem Tod hat er seine zweite Frau Elżbieta, mit der er 55 gemeinsame Jahre verbracht hatte, kirchlich geheiratet. In Polen hat Penderecki auch noch ein Haus gebaut: das European Krzysztof Penderecki Center for Music, 2013 eröffnete Begegnungsstätte für junge Musiker:innen und Musikprofessor:innen, mit einem Konzertsaal, Proberäumen, Aufnahmestudio, Bibliothek und Wohnräumen. 2015 komponierte er sein erstes Trompetenkonzert. Ob er sich dabei an den Trompetenbaum in Grafenegg erinnert hat?
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Glockenblumen sind auch den meisten Nichtbotanikern bekannt. Aber Glockenbäume? Aus Asien stammt der sogenannte Blauglockenbaum, der sich auch auf anderen Kontinenten verbreitet hat. Nach Europa gebracht hat ihn der Würzburger Wissenschaftler Philipp Franz von Siebold. Er benannte ihn nach der Zarentochter, niederländischen Kronprinzessin und späteren Königin Anna Pawlowna. Die paulownia imperialis wurde aber auch zum Lieblingsbaum von Kaiser Franz Josef, der zahlreiche Exemplare in der gesamten Monarchie pflanzen ließ. So sind auch in Schönbrunn oder in Baden Blauglockenbäume anzutreffen.
Im Schlosspark Grafenegg hat der Schweizer Heinz Holliger, Composer in Residence des Jahres 2008, ein solches Exemplar gepflanzt. Allein der Name des Baums impliziert musikalische Assoziationen. In der Tat findet das Holz der Paulownia auch beim Bau mancher Musikinstrumente Verwendung, etwa bei der klassischen chinesischen Mondlaute und beim Korpus von E-Gitarren. Auch bei so unterschiedlichen Gegenständen wie Möbeln, Tischtennisschlägern oder Surfboards, bei Modell- und Segelflugzeugen, Gerätschaften und Werkzeugen ist dieses Holz anzutreffen. Speziell in Japan, wo man die Bezeichnung «Kiri» verwendet, ziert eine Abbildung der Blüte zahlreiche Wappen.
In China gelten die Blätter und Blüten als wertvolles Viehfutter. Schade eigentlich: Wirkstoffe in den Blättern dienen der Pharmazie als Grundsubstanz zur Behandlung von Husten und Bronchitis, aus den Früchten gewinnt man Mittel zur Haarpflege sowie zur Blutdrucksendung und gegen asthmatische Erkrankungen. Ein interessantes Abwehrsystem entwickelt der Baum für sich selbst: Er sondert spezielle Schleimstoffe ab, die Insekten anlocken zum Schutz vor Pflanzenfressern.
Sein schnelles Wachstum – in einem Jahr über fünf Meter, Gesamthöhe bis zu 25 Meter – und die Qualität des Edelholzes machten den Blauglockenbaum vor wenigen Jahren zum großen Hoffnungsträger auch für den australischen Holzhandel. In großem Stil wurden Pflanzungen vorgenommen, viel Geld wurde investiert. Doch der Erfolg blieb weit hinter den Erwartungen zurück: Ungeeignete Böden und ungünstige klimatische Verhältnisse, Pflanzenkrankheiten und Buschfeuer sorgten für einen enormen Flop des Plantagenprojekts, das Anlegervermögen ging verloren. Ein Lehrbeispiel: So dumm kann’s laufen, wenn Spekulation und Ungeschick das Risiko in unkalkulierbare Höhen treibt. Dass es auch funktionieren kann, zeigen Erfolge beim kommerziellen Anbau in anderen Ländern.
Sehr lichtbedürftig und wenig schattentolerant ist die Paulownia, zudem ziemlich resistent gegenüber Schwefeldioxid und Ozon, somit ein idealer Baum in Zeiten von Klimawandel und Umweltbelastungen. Blauglockenbaumwälder in der Natur sind dennoch nicht zu erwarten: Die Integrationsbereitschaft in bestehende Ökosysteme ist gering. Die Paulownia ist letztlich eine Individualistin.
Ein vielseitiger Individualist ist auch der universell denkende und tätige Heinz Holliger. In einem NZZ-Interview anlässlich seines 80. Geburtstags verglich er seine Kompositionsarbeit mit der Malweise von Paul Klee: «Er fängt mit irgendetwas an, dann gibt es Kreise darum, dann zeichnet er plötzlich ein Symbol, etwas Realistisches, einen Baum; die Kreise gehen weiter, werden Linien, und am Ende der Linien sieht man unversehens ein Märchenhaus.» Vor diesem Märchenhaus steht mit ziemlicher Gewissheit ein blühender Blauglockenbaum, und aus den Fenstern kann man das Glocken-Alphabet aus dem Scardanelli-Zyklus vernehmen, während Friedrich Hölderlin am Himmelstor Friederike Mayröcker erwartet und zum Tee einlädt.
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Manchmal kommt man in die Verlegenheit, ein Taschentuch zu benötigen, sei es, um einen allergischen Niesanfall zu bekämpfen oder sich die Spuren der Rührung aus den Augenwinkeln zu wischen. Da wäre ein naher Taschentuchbaum sehr gelegen. Gibt’s nicht? O doch, aber leider heißt er nur so und bietet keine Taschentücher an, sondern ein weißes Blütenwerk, das aus der Ferne aussieht wie Taschentücher. Ein Pavarottibaum, sozusagen. Aus der Ferne sehen die Blüten aber auch aus wie Tauben. Deshalb trägt der Taschentuchbaum auch den Namen Taubenbaum. Der englische Forschungsreisende E. H. Wilson schwärmte um die vorletzte Jahrhundertwende: «Die außerordentliche Schönheit dieses Baums machte uns trunken vor Begeisterung.»
In unseren Gefilden ist der aus China stammende Baum hauptsächlich in botanischen Gärten und Parks anzutreffen. In Grafenegg hat ihn der Composer des Jahres 2009, Tan Dun, eingepflanzt. Der in New York lebende chinesische Komponist versteht es, in seinen Werken klassische und moderne Elemente sowie europäische und asiatische Traditionen zu verbinden. In Grafenegg hielt er einen Kompositionsworkshop, in dem Kompositionen für Film und Multimedia im Vordergrund standen. Neun Jahre zuvor war seine Filmmusik zum preisgekrönten Streifen «Tiger and Dragon» mit einem Oscar und einem Grammy ausgezeichnet worden. Mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich und einer Reihe renommierter Schlagwerk-Solisten brachte er sein «Earth Concerto for ceramic instruments and orchestra to commemorate the 150th anniversary of Gustav Mahler’s birth», ein Auftragswerk des Grafenegg Festivals, zur Uraufführung. Für Grafeneggs künstlerischen Leiter Rudolf Buchbinder ist Tan Dun schlicht ein «Ton-Genie». Es sei vielleicht nicht unwesentlich, so Buchbinder, dass Tan Dun sich in seiner ersten Oper bereits dem Reisen und der Entdeckung ferner Kulturen verschrieb, als er Musik über Marco Polo komponierte.
«Ich bin bei meiner Grossmutter aufgewachsen. Sie war Gemüsebäuerin in einem Dorf in der Provinz Hunan, und da waren überall Musik und Gesang, bis in die Hügel hinauf: in Geister-Opern, bei Hochzeiten und Beerdigungen. Barfuss bin ich hinterhergerannt, Strassen gab es ja keine. Das war mein Leben», erzählt Tan Dun in einem bemerkenswerten NZZ-Interview aus dem Jahr 2008, in dem er auch seinen Namen erklärt: «Tan heisst so viel wie legendär, und Dun ist der Schild.»
Mit 16 kam er zur Umerziehung in eine Kommune. «Ich hatte eben die High School beendet, und gemäss Mao war man umso mehr vergiftet, je länger man studierte. Wir bauten Gemüse an, pflanzten Bäume. Aber heute stimme ich mit Mao überein: Ich wurde zwischen 16 und 18 in der Tat umerzogen! Ich kenne alle Pflanzen, das Leben der Einheimischen. Ich sammelte deren Musik, ohne Aufnahmegeräte natürlich. Ich versuchte zu kopieren oder speicherte im Kopf, was ich von den Bauern hörte. Wie Bartók: Er ist mein Held.»
In China wird der Taubenbaum («Dove Tree» im englischen Sprachraum) auch «Auf-Wiedersehen-Baum» genannt. Wer weiß: Vielleicht hat sich Tan Dun in Grafenegg so wohl gefühlt, dass er auf diese Weise die Absicht zur Rückkehr bekundet hat. Die Publizistin und Verlegerin Simone Stefanie Klein plädiert übrigens dafür, die Davidia Volucrata – so die wissenschaftliche Bezeichnung – vorzugsweise «Taubenbaum» zu nennen. Die Begründung: «Sollen wir stets nur an Rotznasen denken, wann immer der Baum in der Blüte uns winkt?» Es muss ja wirklich nicht sein, dass dem Land des Lächelns und dem Symbol des Friedens die «teutsche» Triefnase gegenübersteht!
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Am Pfingstsonntag 2021 ist der spanische Komponist Cristóbal Halffter 91-jährig verstorben. Im Jahr 2010 war er als Composer in residence in Grafenegg zu Gast. Der damalige Festivaldramaturg, Redakteur und Moderator Alexander Moore erinnert sich: «Ich durfte ihn schon Monate vor dem Festival in Dresden treffen und stundenlang mit ihm sprechen. Ihm zuzuhören, war ein geistiger Genuss und beflügelnd. Seine Ernsthaftigkeit, sein unbeirrbarer Fokus auf das Wesentliche und sein stets durchschimmernder mediterraner Charme ergaben eine Musik, die mich seither begleitet hat und immer begleiten wird.»
Dieser mediterrane Charme manifestiert sich auch in jener Baumart, die Halffter für den Schlosspark gewählt hat. Die Edelkastanie, die bis zu 35 Meter hoch werden kann, ist vor allem im Mittelmeerraum verbreitet und war seit jeher durch ihre essbaren Früchte – in der Antike fanden sie sogar als Heilmittel Verwendung – eine wichtige Nahrungspflanze. Im Mittelalter wurden diese Früchte in Italien «marroni» genannt. So bezeichnet man sie noch heute auch in der Schweiz, in Österreich ist ein «r» abhanden gekommen, in der Pfalz nennt man sie «Keschde» und in Südtirol «Keschtn». Der größte bekannte Baum, zumindest laut Wikipedia, ist der Castagno dei Cento Cavalli (Kastanienbaum der hundert Pferde) auf Sizilien, der auf ein Alter von mindestens 2000 Jahren geschätzt wird. Bedingt durch Landflucht und Schädlinge setzte im 19. Jahrhundert der Niedergang des großflächigen Edelkastanienanbaus ein, der sich erst in jüngerer Zeit erholen konnte.
Halffter zählte zu jenen bedeutenden Komponisten, die sich stets der Humanität verpflichtet fühlten, ganz Zeitgenosse, der sich auch Themen wie Unterdrückung, Gewalt, Macht und Tod widmete. Davon legen u. a. seine nach Texten von Norman Corwin zum 20. Jahrestag der Verkündigung der Menschenrechte (1968) im Auftrag der Vereinten Nationen geschriebene Kantate «Yes, speak out, Yes» oder «Memento a Dresden» (1995) für die Dresdner Philharmonie im Gedenken der Opfer der Bombardierung Dresdens 1945 Zeugnis ab. Bei aller Contenance nahm sich Halffter auch kein Blatt vor den Mund gegen die «Diktatur der Mittelmäßigkeit», Kleingeisterei und Engstirnigkeit. Denn: «Es fällt mir sehr schwer, in Musik zu denken, die nicht von inhaltlichen Prämissen ausgeht.»
Und dann gibt es noch diese sprichwörtlichen Kastanien, die aus dem Feuer zu holen sind. Wobei die populäre Redewendung auf eine wunderbare Fabel des Jean de la Fontaine zurückgeht, der wiederum den Stoff von Äsop übernommen hat. Ein Affe überredet eine Katze, indem er an ihre Eitelkeit appelliert, geröstete Kastanien aus dem Feuer zu holen, um sie – entgegen der vorherigen Vereinbarung, die Beute anschließend zu teilen – selbst zu verspeisen. Die Katze hingegen verbrennt sich dabei ihre Pfoten. Was sagt uns das? Wer uns erfolgreich der Versuchung aussetzt, etwas beweisen zu müssen, kann uns sowohl zum Handeln bewegen – was per se nichts Schlechtes ist – als auch unter Druck setzen, ausnützen und betrügen.
Umso besser, wenn man niemandem mehr etwas beweisen muss. «Die Welt» schrieb über die Uraufführung der Oper «Lazarus» 2008 in Kiel: «Halffter muss sich und uns nichts mehr beweisen, er gewinnt aus der Freiheit seiner Altersweisheit einen expressiv geladenen und noch im Schweigen beredten, symphonischen Ton.» Eine Weisheit, die erworben sein will, eine Freiheit, die gewonnen sein will, aber es steht dafür. Und es ist möglich. Auch dafür: muchas gracias!
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Seine Freunde nennen ihn «Nali»: Der österreichische Komponist, Chansonnier und Dirigent Heinz Karl Gruber, kurz HK Gruber, zählt zu den ebenso originellen wie prägenden Persönlichkeiten des zeitgenössischen Musiklebens, und das nicht nur hierzulande. Mit dem 1978 durch Simon Rattle in Liverpool uraufgeführten Pandämonium (sic!) «Frankenstein» nach Texten von H. C. Artmann gelang ihm der internationale Durchbruch. Mit Kurt Schwertsik und Otto M. Zykan hat er die zeitgenössische Musik vom akademisch-dogmatischen Bierernst befreit, ohne ihre Ernsthaftigkeit infrage zu stellen.
Im Jahr 2011 war HK Gruber als Composer in residence in Grafenegg, wo unter anderem sein Stück «Northwind Pictures» uraufgeführt wurde. Und beim Eröffnungskonzert erklang gleichsam als Fanfaren-Parodie Grubers Komposition «Demilitarized Zones» für Brass Band, eine von 26 Blechbläsern dargebotene Collage aus 20 gleichzeitig erklingenden Märschen, die allmählich von lyrischen Mittelstimmen verdrängt werden. «Fast schon eine politische Aussage», meinte der Komponist, dessen Beziehung zu Grafenegg weit zurück reicht: Bereits 1980 ist hier sein Klavierzyklus «Luftschlösser» zur Uraufführung gelangt. Als Komponistenbaum für den Schlosspark wählte Gruber einen Ginkgo biloba, und das wohl nicht zufällig. Denn der aus China stammende Ginkgo, mittlerweile weltweit anzutreffen, wird mit manchen Mythen und Legenden in Verbindung gebracht. Er gilt Botanikern als lebendes Fossil einer ansonsten ausgestorbenen Pflanzenart. Vor zwei Jahrzehnten wurde er vom Kuratorium Baum des Jahres zum Mahnmal für Umweltschutz und Frieden und zum Baum des Jahrtausends gekürt. Goethe widmete ihm beziehungsweise seiner späten Liebe Marianne von Willemer ein Gedicht im Zyklus «West-östlicher Diwan».
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie ‘s den Wissenden erbaut.Ist es Ein lebendig Wesen
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwey die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt.Solche Frage zu erwiedern
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Dass ich Eins und doppelt bin?In der chinesischen Philosophie wird der Ginkgo, dessen Lebensalter bis zu 3000 Jahre erreichen kann, seit jeher verehrt. Das zweigeteilte Blatt wird auch als Symbol des Yin-Yang betrachtet. In der Medizin finden Spezialextrakte aus Ginkgoblättern Anwendung, etwa bei der Behandlung von Demenz, wobei jedoch zu hohe Konzentration von Gingkolsäure zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Bei Nahrungsergänzungsmitteln sei die Bezeichnung «Ginkgo» jedenfalls oft nur eine werbewirksame «Schmuckzutat», warnt die deutsche Verbraucherzentrale.
Eine bemerkenswerte Geschichte wird vom Ginkgo überliefert, die auch gut zum politischen Bewusstsein von HK Gruber passen dürfte: Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde am 6. August 1945 von den Amerikanern eine Atombombe auf Hiroshima abgeworfen. Die Pflanzen und Bäume in der Umgebung des Epizentrums wurden im September 1945 untersucht. Unter den Überlebenden befanden sich sechs Ginkgo-Biloba-Bäume in der Nähe des Explosionszentrums. Sie schienen nach der Explosion ohne größere Verformungen weiter zu knospen und sind heute noch am Leben. Ein Wunder – und absolut kein Wunder, dass der Ginkgo als «Hoffnungsträger» empfunden wird.
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In den 1980er Jahren bin ich ihm begegnet, diesem italienischen Klassiker unter den Duftkreationen per uomini. Nicht wissend, dass es sich bereits um die Neuauflage des Originals aus den 1950ern handelte. Duschgel und Eau de toilette erinnerten mich an meine Kindheit, als es noch Fichtennadelseifen gab, die mittlerweile aus den Sortiments größtenteils verschwunden sind, auch wenn sich hier und da ein leichtes Revival anzudeuten scheint. Die Italiener haben mit Pino silvestre das Nadelbaum-Odeur bewahrt, über die Jahrzehnte. Pino bedeutet Kiefer, und deren repräsentativste mediterrane Variante ist wohl die Pinie.
Der schottische Komponist James MacMillan hat 2012 als Composer in residence eine schottische Föhre (Pinus silvestris) zum Schlosspark Grafenegg beigetragen. Damit sind wir in ganz anderen geografischen Gefilden gelandet. Dabei ist die sogenannte Waldkiefer – immerhin Baum des Jahres 2007 – gar kein typisch schottischer Baum, aber, so behauptet Wikipedia, die zweithäufigste Baumart in Deutschland, wo sie fast ein Viertel der Waldfläche einnimmt. Sie kann bis zu 35 Meter hoch werden. In Schottland kann man ihr außer in freier Natur auch in Zweigform als Clan-Abzeichen begegnen. James MacMillan ist der Tradition sehr verbunden: den Bräuchen und dem Volkstum seiner Heimat und seinem katholischen Glauben. Letzterer spiegelte sich in seinem Auftragswerk für Grafenegg wider, einem «Credo» für Chor und Orchester.
Die Föhre wurde in der Vergangenheit auch extensiv zur Harzgewinnung genutzt, hierzulande vor allem im südlichen Niederösterreich. In Adalbert Stifters Erzählung «Granit» aus der Sammlung «Bunte Steine» wird das Los einer Pechbrennerfamilie geschildert. Die sogenannte Pecherei ist durch die Entwicklung der Kunstharze sehr zurückgegangen und wurde 2011 in das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen. Die Ausdrücke «Pechvogel» und «Pech haben» gehen auf die mittelalterliche Vogeljagd zurück. Damals bestrich man Äste mit Pech, damit die Vögel daran kleben blieben. Jeder Vogel, der in die Falle tappte, hatte «Pech gehabt» und war daher ein «Pechvogel». Positiv konnotiert ist hingegen der Zusammenhalt «wie Pech und Schwefel».
Harzprodukte fanden unter anderem Verwendung in der Papier-, Lack-, Seifen-, Kabel- und Schuhcremeindustrie. Extrakte aus Kiefernnadeln werden nach wie vor bei Erkältungskrankheiten und der Behandlung von Muskelschmerzen eingesetzt. Auch in Saunaaufgüssen, Bade- oder Massageölen sind die ätherischen Öle der Kiefer enthalten. Nicht zuletzt ist das aus dem Harz gewonnene Kolophonium von Bedeutung, das in vielerlei Bereichen Anwendung findet, von der Elektronik bis zum Bestandteil von Salben, am bekanntesten wohl als Bogenharz bei Streichinstrumenten.Sogar in die Literatur hat das Kolophonium Aufnahme gefunden, etwa in den romantisch-schwelgerischen Heidebilder-Naturgedichten der Annette von Droste-Hülshoff: «Da krimmelt, wimmelt es im Heidgezweige / Die Grille dreht geschwind das Beinchen um, / Streicht an des Taues Kolophonium, / Und spielt so schäferlich die Liebesgeige.» Und natürlich bei Thomas Bernhard in seinem 1974 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten Theaterstück «Die Macht der Gewohnheit», in dem der Zirkusdirektor Caribaldi Schuberts Forellenquintett proben will, aber durch diverse Unzukömmlichkeiten daran gehindert wird, u. a. wegen des fortwährend in Verlust geratenen Kolophoniums.
Das österreichische Pech wird jedenfalls weltweit zu einem der besten gezählt. Hoffentlich nicht auch in übertragenem Sinn.
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Intendant Rudolf Buchbinder erinnert sich: «Im Jahr 2013 haben wir einen Australier als Composer in Residence gewinnen können: Brett Dean kenne ich noch als Bratschisten der Berliner Philharmoniker. Erst 1999 machte er sich als Komponist selbstständig. Deans Musik schafft den Spagat von Avantgarde und Neudenken zu Unterhaltsamkeit und Schönheit. Seine dynamisierten Klangflächen aus differenzierten, rhythmisierten Einzelstimmen, die zwischen den Extremen des Ausdrucks pendeln, begeistern mich sehr. Und als Musikant schmunzle ich natürlich über seine Schlagwerk-Kompositionen, die er mit allerhand Alltagsgegenständen in Szene setzt. Vor allen Dingen aber habe ich Brett Dean in Grafenegg als unendlich freundlichen und einfühlsamen Lehrer kennengelernt, der den Workshop mit den jungen Musikern sehr ernst genommen hat. Vielleicht ist es sinnfällig, dass dieser vollkommen uneitle Musiker und Mensch eine schmalblättrige Esche in den Park von Grafenegg gepflanzt hat.»
In den vergangenen Jahren wurde die Esche in Europa von einem Pilz namens Hymenoscyphus pseudoalbidus, auch «Falsches Weißes Stengelbecherchen», massiv bedroht. Das sogenannte Eschensterben, eigentlich Eschentriebsterben, führte zu umfangreichen Schlägerungen und zu temporären Sperren großer Waldgebiete. In Nordamerika attackiert ein aus Asien eingeschlepptes Insekt mit dem schönen Namen Eschenprachtkäfer die Bestände, und auch der Bunte Eschenbastkäfer tut den Bäumen nichts Gutes. Manche Wissenschaftler befürchten bereits das Aussterben der Esche, was nicht ohne Auswirkungen auf die Landschaft bliebe, zumal der Baum auch als Stabilisator von rutschgefährdeten Hängen, Bach- und Flussufern fungiert. Durch ihr weitverzweigtes Wurzelsystem schützt die Esche vor Bodenerosion und befestigt Uferböschungen. Zudem bietet sie zahlreichen Insekten und Vögeln einen wichtigen Lebensraum und Nahrung für Wildtiere, die sich von Zweigen und Knospen der Jungpflanzen ernähren.
Mit dem sukzessiven Sterben der Esche – 2001 noch zum Baum des Jahres gewählt – gehen auch wirtschaftliche Einbußen für die Forst- und Holzwirtschaft einher. Von Bedeutung ist die Esche in der Möbelholzherstellung und im Musikinstrumentenbau, etwa bei Klanghölzern und Schlagzeugkesseln.
Besonders in der nordischen Mythologie existiert die archaische Vorstellung, dass der Mensch vom Baum abstammt. Da ist die Rede von einem Stammvater Askr oder auch Ask, dessen Name sich von der Esche herleitet. Gemeinsam mit Embla (einer Erle) bildet er – analog zu Adam und Eva – das erste Menschenpaar. Ebenso ist der Weltenbaum Yggdrasil eine Esche. Auch soll die biblische Götterspeise Manna von der Esche kommen. Die keltischen Druiden sollen aus Eschenholz ihre Zauberstäbe geschnitzt haben. Den alten Römern war sie als Symbol einer glücklichen Ehe bekannt, und selbst Amors Pfeile sollen aus Eschenholz gefertigt gewesen sein.
Somit ist die Esche ein bedeutungsvoller Baum seit Jahrtausenden. Die Zukunft der Esche im Ökosystem Wald ist allerdings weiterhin ungewiss. Hoffnungsvoll stimmt die Nachricht, dass im Bundesforschungszentrum für Waldbau in Tulln oder auch in Deutschland schädlingsresistente Neuzüchtungen gelingen könnten. Möge auch der von Brett Dean in Grafenegg gepflanzten schmalblättrigen Komponistenesche (Fraxinus angustifolia) ein langes Leben beschieden sein. Verkörpert doch der germanische Weltenbaum Yggdrasil drei verschiedene Welten – Himmel, Erde und Unterwelt – und verbindet sie miteinander. Der Verlust dieser Verbindung wäre tragisch.
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Endlich eine Komponistenlinde, die nicht Franz Schubert gewidmet ist! Im Sommer 2014 kam einer der weltweit besten Klarinettisten nach Grafenegg: Jörg Widmann. Parallel zu seiner Virtuosität als Instrumentalsolist ist er auch als Komponist international angesehen. Als Composer in residence hat Widmann in Grafenegg eine Winterlinde gepflanzt.
Unmittelbar davor hielt er in der Reitschule einen Eröffnungsvortrag zum Thema «Schöne Stellen – Betrachtungen über die Musik der Gegenwart und der Vergangenheit». Sowohl mit Aufführungen eigener Werke (darunter die «Babylon-Suite» als Auftragswerk) als auch durch Mitwirkungen bei Kammermusik von Mozart, Beethoven, Weber und die Betreuung des Kompositionsworkshops Ink Still Wet war Widmann beim Festival präsent.
Welche Beziehung Widmann zu Linden hegt, geht aus dem Kommentar des Komponisten zu seinen «Sieben Abgesängen auf eine tote Linde» hervor (nachzulesen auf der Verlags-Page von Schott). «Es war 1996, als mir Christoph Poppen, der damalige Leiter des Münchener Kammerorchesters, von einem kuriosen Konzert in Münsing (Ammerland) erzählte: während eines seiner Konzerte mit dem Orchester in der dortigen Kirche gab es, für alle hör- und sichtbar, eines der größten Unwetter, das die Region je gesehen hatte. Dabei schlug der Blitz ein in eine Art Wahrzeichen des Ortes, eine mehrere Jahrhunderte alte Linde.»
Im Publikum befand sich damals auch die Schriftstellerin Diana Kempff, jüngste Tochter des berühmten Pianisten Wilhelm Kempff. Unter dem Eindruck des Geschehenen schrieb sie einige Gedichte. Poppen brachte Widmann und Kempff zusammen. Die Vertonung der Gedichte gelangte im Jahr 1997 zur Uraufführung. «Die Tatsache, dass wir Monate später eine sichtlich bewegte Diana Kempff auf die Bühne holen durfte, freute uns alle besonders», berichtet Widmann. «Diana Kempffs Gedichte, der Enthusiasmus Christoph Poppens, die phantastischen Uraufführungs-Interpreten, allen voran die Sängerin Juliane Banse, haben mich zur Komposition dieser ‹Sieben Abgesänge auf eine tote Linde› angeregt.» Diana Kempff ist 2005, erst 60-jährig, verstorben. Ihre Lyrik sei «Ausdruck einer offenkundig zutiefst gequälten Seele», so Widmann. Wahrscheinlich hat er an sie gedacht, als er die Winterlinde im Schlosspark Grafenegg einsetzte.
Wer «Linde» googelt, findet eine Unzahl an möglichen Bedeutungen und Namensträgern, vom preußischen Adelsgeschlecht bis zum australischen Boxer, vom deutschen Blockflötisten bis zum schwedischen Jazzmusiker, vom polnischen Sprachwissenschaftler bis zum südafrikanischen Autorennfahrer. Linde ist auch ein schöner weiblicher Vorname, etwa bei Schauspielerin Linde Prelog, Malerin Linde Waber oder Keramikerin Linde Lechner. Außerdem jede Menge Fluss- und Ortsnamen. Last but not least: Linde kennt man als legendären Malzkaffee (ja, der mit den Spielzeugfiguren als Beigabe, bis 1973).
Abschließend zurück zur Winterlinde, auch Steinlinde genannt. Sie kann bis zu 30 Meter hoch und in Ausnahmefällen bis zu 1.000 Jahre alt werden. «Die Linde kommt 300 Jahre, steht 300 Jahre und vergeht 300 Jahre», lautet ein diesbezüglicher Spruch. Die Linde stand oft im Zentrum des sozialen Lebens: als Dorflinde, Hoflinde, Gerichtslinde. Lindenholz ist ein geschätztes Material für Schnitzer und Drechsler. Heilsam ist der Lindenblütentee. Unter den Linden ist unter anderem die Berliner Staatsoper zu finden, «under der linden» dichtete schon Walther von der Vogelweide. Auch in Grafenegg können es ihm die Nachfahren nun gleichtun.
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«Ich hatte das ganz große Glück, von großen Mentoren erkannt zu werden, die dann auch den Mut gehabt haben, mir einen Auftrag zu geben, mich als Composer in residence zu ernennen», erinnert sich der deutsche Komponist Matthias Pintscher. Mit 24 Jahren bekam er einen Auftrag von Claudio Abbado für die Berliner Philharmoniker, bald danach war er Composer in residence bei den Salzburger Festspielen. 2015 war es in Grafenegg so weit.
Pintscher, Jahrgang 1971, unterrichtet u. a. an der Juillard School in New York, wo er auch lebt, und leitet das Ensemble intercontemporain in Paris. An der Wiener Staatsoper brachte er «Orlando» von Olga Neuwirth zur Uraufführung, an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin dirigierte er Aufführungen von Beat Furrers «Violetter Schnee». Als Dirigent ist er weltweit im Einsatz. In seiner Freizeit betätigt er sich als Kunstsammler und -händler.
Im Schlosspark Grafenegg verewigte sich Pintscher mit einer Trauerweide (Salix alba tristis). Die Trauerweide diente vielen Generationen von Malern und Dichtern als Inspirationsquelle. Das vielleicht berühmteste Trauerweiden-Gemälde stammt von Claude Monet und ist im Kimbell Art Museum, Fort Worth, Texas, zu bewundern. Eine ganze Serie an Trauerweidenbildern entstand im Verlauf des Monet’schen Spätwerks – unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, wie vermutet wird. Seltsam ambivalent ist das Ansehen, das Weiden zukommt. Einerseits sind die Weidenkätzchen ein beliebter Frühlings- und Osterschmuck, in Russland heißt der Palmsonntag sogar Weidensonntag. Geflochtene Weidenkörbe werden angeboten, Weidenzäune und diverse Weidendekorationen für den Garten. In der fernöstlichen Mythologie symbolisiert die Weide sexuelle Sinnlichkeit, Fruchtbarkeit und / oder Frivolität.
Andererseits leiden Weiden unter sehr negativem Image. Es hieß, Judas Iskariot habe sich an einer Weide erhängt. Die Folterknechte, die Jesus Christus verhörten, sollen ihn mit Weidenruten gegeißelt haben. Shakespeares Ophelia ertrinkt in einem Bach, nachdem sie Blumen in einen Weidenbaum gehängt hat. Teufel, Hexen und Kobolde wurden bei Weiden lokalisiert. Erlkönigs bedrohliche Töchter in Goethes Ballade («Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau»), der alte Weidenmann in Tolkiens «Herr der Ringe», die «peitschende Weide» bei Harry Potter – alles keine schmeichelhaften Kontexte. Die Weide sollte rehabilitiert werden, und zwar nachhaltig.
Vielleicht kann die Erinnerung dazu beitragen. Etwa an die heilenden Kräfte der Weidenrinde, die schmerzstillend, entzündungshemmend und fiebersenkend wirkt. Weidenrinde enthält nämlich Salicin, den Hauptbestandteil von Aspirin. Heute stellt man Salicylsäure eher synthetisch her. Auch die Indianer bestrichen sich bei Kopfschmerzen die Stirn mit einem Brei aus Weidenrinde. Hildegard von Bingen dagegen kochte aus der Rinde einen Tee gegen Schmerzen und Fieber.
Vergessen sollte man jedenfalls dumme Reimregeln à la «Eichen sollst du weichen und Fichten wähl mitnichten, auch Weiden musst du meiden, aber Buchen sollst du suchen»: Es handelt sich um Schwachsinn pur. Wer von einem Gewitter überrascht wird, sollte sich niemals unter einen Baum stellen, auch nicht unter eine Weide, auch nicht unter eine Buche. In Grafenegg jedenfalls empfiehlt sich in diesem Fall Schutzsuche im Foyer des Auditoriums, unter dem Eingangsbereich des Wolkenturms, im Auto am Parkplatz, im Schlossareal – aber bitte bloß nicht unter Bäumen.
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«Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke, und macht sich in der Dämmerung auf den Weg, ich brauche frischen Wind um meine Krone, ich will nicht mehr in Reih und Glied in eurem Haine stehen, die gleiche Wiese sehen, die Sonne links am Morgen, abends rechts»: 50 Jahre ist es her, dass uns Hildegard Knef dieses wunderbare Chanson geschenkt hat.
Der deutsche Komponist Christan Jost, Grafeneggs Composer in residence 2016, hat dem Schlosspark eine Birke geschenkt, genauer: eine Papier-Birke (Betula papyrifera): «Der Baum meiner Kindheit, dort, wo das Abenteuer meines Lebens begann.» Die Rinde des hauptsächlich in Nordamerika beheimateten, aber auch in Mitteleuropa verbreiteten Baums wurde von den amerikanischen Ureinwohnern als Schreibmaterial verwendet und für die wasserdichte äußere Abdeckung beim Bau von Kanus benutzt. Die Blätter bereichern zudem die Farbpalette des Indian Summer im Osten der USA.
Christian Jost (geboren 1963) bekennt sich zum Erzählerischen in der Musik, ja zum Wohlklang. Dies entspringt dem Bedürfnis, sich von jeglichen ideologischen Zwängen zu befreien. «Für mich war es von Anfang an das Ziel, den Dritten Weg zu gehen. Nicht Donaueschingen, nicht die tonalen Amerikaner, nicht Boulez oder Stockhausen und auch nicht Reimann oder Henze. Der dritte Weg bestand darin, aus der Verbindung von Ligetis ‹Atmosphères› und ‹Bitches Brew› von Miles Davies eine eigenständige kompositorische Form zu etablieren. Nicht hier ein bisschen Jazz, da ein bisschen Klassik und hier ein bisschen musikalische Avantgarde, sondern eine Musik, die dem Hörer das Gefühl der strukturierten Improvisation vermittelt. Es geht um die Freiheit des Jazz und die Struktur der Klassik.»
Jost hat sich auch intensiv mit Robert Schumann beschäftigt und dessen Liederzyklus «Dichterliebe» neu komponiert. «Die Liedtexte Heines bleiben komplett erhalten, wie auch die Gesangslinien Schumanns, obgleich Textstellen wiederholt werden bzw. neue Schwerpunkte erhalten. Dabei bleibt alles im Fluss, einem klanglichen Strom des Unbewussten. Begleitet von assoziativen Visualisierungen erzählt mein Werk keine chronologische Geschichte, sondern öffnet überraschend einzelne Fenster in die menschliche Seele», erläutert Jost sein Wagnis, das 2017 in Berlin zur Uraufführung gelangte und auch auf einem Doppelalbum erschienen ist.
Als Solistin ist Stella Doufexis zu hören, Ehefrau von Christian Jost, 2015 verstorben. Die Sopranistin hatte das gesamte Liedschaffen von Schumann aufgenommen, darunter auch «Der Bräutigam und die Birke» nach einem Gedicht von Gustav Pfarrius. «Birke, des Waldes Zier, Will Hochzeit machen, Brauch viele Sachen, Was schenkst du mir?» Die unbescheidenen Wünsche des Bräutigams führen letztlich dazu, dass sich der Baum als Brennholz opfern soll.
Dieses Los möge der Papier-Birke in Grafenegg erspart bleiben. Vielmehr soll sie etwas von jener Sehnsucht nach Freiheit verkünden, wie sie Hildegard Knef in ihrem Chanson zum Ausdruck gebracht hat (auch wenn es dort kein Happy-End für den aufmüpfigen Baum gibt) und wie auch Christian Jost sie in seinem kompositorischen Schaffen sucht. Dem entsprach auch das seinerzeitige Auftragswerk, das im Wolkenturm zur Uraufführung gelangte: «An die Hoffnung» für Tenor und Orchester nach dem gleichnamigen Lied von Ludwig van Beethoven op. 94 auf einen Text von Christoph August Tiedge. «Wenn, längst verhallt, geliebte Stimmen schweigen; wenn unter ausgestorb’nen Zweigen verödet die Erinn’rung sitzt, dann nahe dich, wo dein Verlass’ner trauert (…) Dann lass ihn um den Rand des Erdentraumes das Leuchten eines Wolkensaumes von einer nahen Sonne sehn!»
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«2017 war es der US-Amerikaner Brad Lubman, der uns in Grafenegg besucht hat und hier eine Trauerweide pflanzte. An Lubman interessiert mich nicht nur seine Arbeit als Dirigent und Komponist – ich finde es spannend, wie er mit seinem Ensemble Signal zeitgenössische Musik in den USA mitten in die Gesellschaft stellt», schreibt Rudolf Buchbinder, künstlerischer Leiter des Festivals Grafenegg, in seinem Buch «Der letzte Walzer».
Eine Trauerweide gepflanzt? Hatte nicht erst zwei Jahre zuvor ein anderer Composer in residence, Matthias Pintscher, ebenfalls eine Trauerweide gepflanzt? Das wirft gleich mehrere Fragen auf. Erstens: Sind Wiederholungen erlaubt? Oder muss ein Komponist, der seinen Lieblingsbaum mit einem anderen Komponisten teilt, zurückstecken, nur weil er zwei Jahre später dran ist? Muss jeder immer etwas Neues beitragen?
Zweitens: Eine Trauerweide ist eine Trauerweide. Oder etwa doch nicht? Doch nicht! Denn Pintschers Salix alba tristis (Silberweide) ist nicht identisch mit Lubmans aus Asien stammender Salix Babylonica tristis. Die babylonische Trauerweide wird auch «Echte Trauerweide» genannt. Das sollte doch vielsagend sein. Die Diskussion unter den Weidenspezialisten ist somit eröffnet.
Auf englisch heißt die Trauerweide «Weeping Willow». Das ist auch der Titel eines Klavierstücks von Scott Joplin aus dem Jahr 1903. Der Komponist, Pianist und Protagonist des Ragtime hat es 1916 sogar auf einer Klavierrolle veröffentlicht. Wobei: Von Trauer keine Spur. Joplin hatte soeben Belle Hayden geheiratet, seine erste Frau, mit seiner Karriere ging es bergauf. Bekannter wurde er natürlich mit dem «Maple Leaf Rag» und dem «Entertainer». Dass er auch Bühnenwerke und eine Symphonie komponierte, ist weniger bekannt. Zu einem veritablen Ragtime-Revival kam es dann 1973 mit dem Film «Der Clou». Der Ragtime fand auch in die europäische Musik Eingang, etwa bei Claude Debussy, dessen Children’s Corner u. a. ein Stück mit dem heutzutage undenkbaren Titel «The Little Negro» beinhaltet. Aber zurück zu Lubman, dessen Orchesterstück «Reflexions» in Grafenegg uraufgeführt wurde. Dem Residenzorchester des Festivals streute er rückblickend Rosen: «Es war mir eine besondere Freude, mit dem Tonkünstler-Orchester zusammen zu arbeiten, denn es ist ein wundervolles Orchester mit großem Verständnis für sowohl neue als auch ältere Musik.» Im Mittelteil der «Reflexions» gibt es einen Abschnitt, «der als eine Art Denkmal für Pierre Boulez verstanden werden kann. Er war kurze Zeit, bevor ich mit dem Schreiben des Stücks anfing, gestorben. Boulez war eine sehr wichtige Figur für mich, und ich hatte das große Glück, zwei Dirigierworkshops bei ihm besucht zu haben», so Lubmann.
Apropos Workshop: Edo Frenkel, einer der Teilnehmer des 2017 von Lubman geleiteten Composer-Conductor Workshops INK STILL WET, berichtet: «Ich erinnere mich an die Baumpflanzungszeremonie, die das Grafenegg Festival eröffnete. Ich frage mich, ob es nicht genau das ist, was auch mit uns geschehen ist: Wir wurden wie ein Baum behutsam eingesetzt und gepflegt, sodass wir uns musikalisch verwurzeln konnten dank des kreativen Nährbodens in Grafenegg.»
Eine schöner Vergleich, der vielleicht am treffendsten mit Weiden funktioniert, denn diese bilden ein sehr kräftiges und weitläufiges Wurzelsystem, das den Boden an Hängen und Uferböschungen festigt. Halt geben, Wurzeln schlagen lassen, sorgsam betreuen: eine Aufgabe nicht nur für Unterrichtende und Baumeinpflanzer, sondern wohl für uns alle im Umgang miteinander.
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«Wer könnte leben ohne den Trost der Bäume?» Der Dichter Günter Eich (!) stellte diese Frage in seinem Gedicht «Ende eines Sommers», erschienen 1963 im Lyrikband «Botschaften des Regens». Es ist keine rhetorische Frage, wie es den Anschein haben könnte. Und es ließen sich schon auch Antworten finden. Wer ohne den Trost der Bäume leben könnte? Die Betonierer zum Beispiel. Jene, die dafür verantwortlich zeichnen, dass unsere Städte und Orte und Landschaften trostlos und unwirtlich zugerichtet, die letzten Reste von Natur vernichtet, die letzten Freiräume verwüstet wurden und werden. Und jene, die sich scheinbar damit abfinden, ohne Vegetation dahinzuvegetieren, denen jeglicher Sinn für Schönheit ausgetrieben wurde, deren Lebensmittelpunkt nur noch in wuchernden Einkaufszentren lokalisierbar ist. Eine Übertreibung? Man braucht sich nur ringsum umzusehen, die Bestätigungen sind auf Schritt und Tritt und weltweit ersichtlich.
Als der britische Komponist Ryan Wigglesworth im Sommer 2018 in Grafenegg zu Gast war, komponierte er als Auftragswerk einen Zyklus von vier Liedern für Sopran und Orchester («Till Dawning») nach Texten von George Herbert (1593 – 1633). Das Stück sollte im Kontext zu Anton Bruckners neunter Symphonie stehen, die an diesem Abend ebenfalls erklang. Inhaltlich ging es um Trost, um Erlösung aus der Agonie, um Morgendämmerung und um die Hoffnung auf österliche Auferstehung. Das letzte Gedicht hebt an mit den Worten: «Ich habe dir Blumen auf den Weg gestreut und Zweige von manchem Baum, du aber brachtest schon bei Tagesanbruch das Süßeste mit dir.» Auch Zweige können sinnbildliche Bedeutung erlangen: Palm- und Ölzweige etwa als Willkommens- und Friedenszeichen.
Mit Poesie hat Wigglesworth auch seinen Baum versehen: ein Gedicht von Alfred Lord Tennyson, britischer Dichter des viktorianischen Zeitalters, in dessen Werk sich oft Motive aus englischer Mythologie und Geschichte finden, stellt den Bezug zum Quercus robur her, der sogenannten Stieleiche, immerhin Baum des Jahres 1989. Um allfälligen Missverständnissen vorzubeugen, empfehlen Botaniker die Schreibweise «Stiel-Eiche». Weitere Bezeichnungen sind Sommereiche und Deutsche Eiche. Letztere wiederum ist mit dem militaristischen und heraldischen Symbol des Eichenlaubs verbunden, das u. a. auf der Rückseite der deutschen Ein-Cent-Münze aufscheint. Nicht zuletzt gibt es die Deutsche Eiche in München, ein legendäres Künstlerlokal, in dem u. a. Rainer Werner Fassbinder, Freddie Mercury, John Cranko, Donna Summer, Barbara Valentin und Margot Werner verkehrten.
An all das hat Wigglesworth vermutlich nicht gedacht und Tennyson schon gar nicht. Die Eiche ist einfach ein faszinierender Baum, mitsamt ihrer unseligen historischen Fracht, von Luther-Eichen über Bismarck-Eichen bis zu Hitler-Eichen. Die Eichen können nichts dafür. Für Tennyson und wohl auch für Wigglesworth sind sie schlicht Wahrzeichen des Lebens. Das Gedicht, frei übersetzt, lautet:
«Lebt euer Leben, jung und alt, wie diese Eiche da, hell im Frühling, lebendiges Gold.
Dann sommerlich reich, und dann, herbstverwandelt, nüchterner getönt, abermals Gold.
All seine Blätter, endlich gefallen, schau, er steht, Stamm und Äste, nackte Stärke.»Die alte Volksweisheit «Eichen sollst du weichen» ist jedenfalls längst widerlegt. Bei Gewittern soll man tunlichst alle Bäume meiden und sich in Sicherheit begeben. Eichen sind grundsätzlich friedlich. Und können wunderbar trösten wie alle Bäume. Womit wir wieder bei Günter Eich wären.
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Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Zum Beispiel die Purpurkastanie, auch Scharlachkastanie oder Blutkastanie genannt. Die kommt nämlich in der Natur gar nicht vor. Es sei denn, man pflanzt sie ein. Peter Ruzicka hat das 2019 im Schlosspark Grafenegg als Composer in residence getan.
«Das Unvergleichliche an Grafenegg ist die Verbindung von Musik und Natur. Es kommt eine neue Qualität dadurch zustande, ein umfassendes Kunsterlebnis. Jeder, der schon einmal dort war oder noch dorthin gehen wird, wird fasziniert sein von dieser Einheit», zeigte sich Ruzicka begeistert. Und: «Mein Lieblingsbaum ist die Kastanie. Ich habe Erinnerungen schon als Kind, an einen bestimmten Baum ganz unweit des Elternhauses, wo ich fast jeden Tag beim Spaziergang vorbeiging. Das hat sich sehr eingeprägt, ich könnte ihn heute noch genauestens beschreiben. Das wünsche ich mir für Grafenegg: Einen vergleichbaren, prägenden Baum.»
Der deutsche Komponist, Dirigent und Intendant leitete von 2002 bis 2006 die Salzburger Festspiele, von 2015 bis 2020 war er geschäftsführender Intendant der Osterfestspiele Salzburg. In Grafenegg leitete Ruzicka auch den Workshop INK STILL WET und gab jungen Komponisten einen wesentlichen Rat mit: «Der entscheidende Punkt ist, dass man am Anfang immer unter dem Vorbild großer Komponisten steht und manchmal ein Vorbild so in die eigene Musik aufnimmt, dass es fast verschattet, dass es da auch ein eigenes Ich gibt. Diesen Punkt muss man überwinden. Diejenigen, die es erreichen, die machen dann ihren Weg.»
Zurück zur Botanik: Die rotblühende Kastanienart gilt als weitgehend widerstandsfähig gegen das Feindbild Nummer eins aller Kastanien: die Miniermotte. Wer auf Wikipedia nachsieht, findet folgende Information: «Die Fleischrote Rosskastanie, auch Rotblühende Rosskastanie, Purpurkastanie oder irreführend Rote Rosskastanie (Aesculus x carnea, Syn.: Aesculus rubicunda), ist ein in Mitteleuropa häufig in Parks gepflanzter Laubbaum aus der Gattung der Rosskastanien (Aesculus). Es handelt sich dabei um eine Hybride zwischen der von der Balkanhalbinsel stammenden Gewöhnlichen Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) und der nordamerikanischen Roten Rosskastanie (Aesculus pavia).» Alles klar. Kurzer kurioser Exkurs: Die Miniermotte soll erstmals 1984 in Mazedonien gesichtet worden sein, nachweisbar ist sie zumindest bis zurück ins 19. Jahrhundert. Ein Biologe brachte Proben aus Mazedonien zur Untersuchung nach Linz. Interessanterweise verbreitete sich der Schädling bald darauf im Raum von Linz und Steyr. Was durchaus den Verdacht aufkommen lässt, dass sie dem Linzer Labor entkommen sein könnte. 1992 entdeckte man die Motte im Raum St. Pölten. Seitdem hat sich der Schädling explosionsartig über ganz Österreich ausgebreitet, verbreitete sich vor allem nach Nordwesten, aber auch in die östlichen und südlichen Nachbarländer. Zusätzlich expandierte auch die Population vom Entdeckungsgebiet in Mazedonien ihr Areal in die übrigen Balkanländer und nach Osteuropa. Mittlerweile kommt die Kastanienminiermotte in ganz Europa vor, von Griechenland, der dalmatinischen Küste, Norditalien und Südfrankreich im Süden bis Südskandinavien, Norddeutschland, Dänemark, den Beneluxstaaten und England im Norden. Die derzeitige westliche Ausbreitungsgrenze liegt in Frankreich und Spanien, die östlichsten Meldungen stammen aus der Ukraine.
In Linz beginnt’s, wusste schon Helmut Qualtinger. Einem Labor entsprungen soll unbestätigten Gerüchten zufolge auch das Corona-Virus sein. Aber daran sind die Linzer jedenfalls schuldlos.
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«Lieber Mensch, ich bin Dein Nussbaum,
Bei mir findest Du Ruhe und Zuversicht,
Träume und Inspiration bringt Dir das Flattern meiner Blätter,
Meine Früchte geben Dir Energie und Schönheit,
Verweile bei mir … so lange Du kannst.»Diese Nachricht hat Konstantia Gourzí beim von ihr 2020 im Schlosspark Grafenegg gepflanzten Nussbaum hinterlassen. Die griechische Komponistin war die erste Frau als Composer in residence beim Grafenegg Festival. «Es ist mir wichtig, dass der Baum viele Blätter hat, und wenn der Wind weht, dass die Blätter rascheln», sagte Gourzi über ihren Komponistenbaum. 2020 schrieb sie ein Stück für Viola und Bordun mit dem Titel «messages between the trees», das sie so kommentierte: «Bäume habe ich lieben gelernt, nachdem ich immer wieder und immer stärker ihr Wohltun empfunden habe. Es wuchs in mir eine Sehnsucht, sie zu umarmen, sie zu beobachten, mich auch durch sie wahrzunehmen.»
Die Festival-Eröffnung 2020 hatte schon begonnen, als ein plötzliches Unwetter den Abbruch erzwang und die Uraufführung des Trompetenkonzerts von Konstantía Gourzí in letzter Minute vereitelte. Ein Jahr später wird das für Grafenegg komponierte Werk mit Simon Höfele als Solist nun tatsächlich aus der Taufe gehoben. Der Unwägbarkeit der Wetterkapriolen scheint man ebenso ausgeliefert zu sein wie einem Virus. Nur gibt es gegen Schlechtwetter keine Impfung. Im Jänner 2021 hat Gourzi in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung klare und notwendige Worte zum Problem der Künstler in Pandemie-Zeiten gefunden: «Kunst braucht Publikum, ist eine körperliche Erfahrung im Raum für Mitwirkende und Zuhörer, ein fester Bestandteil des ‹Mensch-Seins›. Sie durch Live-Streams zu ersetzen, ist keine Lösung, das hat keine Perspektive.»
Man sagt, dass gute Nussjahre auch gute Weinjahre sind und im Folgejahr viele Knaben geboren werden. Unter einem Nussbaum beim Heurigen zu sitzen, ist überhaupt eine Seligkeit an sich. Dort ist man auch gegen Stechmücken gut geschützt. Und Nüsse gelten als wahre Wundermittel: Sie schützen angeblich gegen Diabetes und hohen Blutdruck, Prostatakrebs, Parkinson und Demenz, gegen Gicht, Depressionen, Ekzeme und Schweißneigung. Anämie, Durchfall, Parasiten, Frostbeulen, Hautgeschwüre und Wunden und vieles mehr. Außerdem gibt es auch noch den Nussschnaps, den sogenannten Nussernen. Der bringt fast jeden rebellierenden Magen zur Ruhe.
Der Wienerlied-Komponist Emmerich Zillner (1900 – 1971) hat ein Lied geschrieben, das Fritz Wunderlich mit den Spilar-Schrammeln, aus denen später die Philharmonia Schrammeln hervorgingen, gesungen hat: «Es steht ein alter Nußbaum drauß’t in Heilig’nstadt, der d’himmelblauen Zeiten noch gesehen hat.» Nicht ganz kitschfrei für heutige Ohren. Hoffentlich steht er noch immer, der alte Nussbaum in Heiligenstadt. Der deutsche Dichter Julius Mosen, u. a. Verfasser des Andreas-Hofer-Lieds, schrieb ein Gedicht, das Robert Schumann vertonte: «Es grünet ein Nussbaum vor dem Haus. Duftig luftig, breitet er blättrig die Blätter aus. Viel liebliche Blüten stehen dran, linde Winde kommen, sie herzlich zu umfahr’n.» Naja, nicht alles, was sich reimt, ist schon gelungene Lyrik.
Walnüsse haben mit Walen übrigens wenig zu tun. Das Wort wird von der «welschen» Nuss abgeleitet. Wer eine harte Nuss zu knacken hat, ist damit länger beschäftigt, wer mit einer dummen Nuss zu tun hat, ist zu bemitleiden, und wenn jemand eine Kopfnuss abbekommt, dann hoffentlich nur beim Rätsellösen. Und die allerschönste Nuss steckt zweifellos im Genuss.
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In seinem Buch «Der letzte Walzer. 33 Geschichten über Beethoven, Diabelli und das Klavierspielen» macht sich Rudolf Buchbinder unter anderem Gedanken darüber, ob sich Beethoven in Grafenegg wohlgefühlt hätte, und kommt zu einem positiven Ergebnis: «Beethoven selbst war nie in Grafenegg, und in Gneixendorf, ganz in der Nähe, ist er nicht wirklich glücklich geworden. Aber ich bin sicher, ihm hätte es bei uns gefallen: ein Ort mitten in der Natur, der sich anfühlt wie die sechste Symphonie, ein Ort des musikalischen Austausches – und ein Ort, an dem sich immer wieder die Vergangenheit mit der Gegenwart trifft.»
Dass Beethoven ein großer Naturliebhaber war, ist hinreichend bekannt. «Ist es doch, als ob jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande: heilig, heilig! Im Walde Entzücken! Wer kann alles ausdrücken?», schrieb er 1815. Und: «Süße Stille des Waldes!»
«Ich persönlich frage mich jeden Sommer in Grafenegg aufs Neue, welchen Baum Beethoven wohl im Schlosspark gepflanzt hätte, wäre er je bei uns zu Gast gewesen»: Buchbinders Frage ist wohl nicht zu beantworten. Hingegen wissen wir, welchen Baum der Composer in Residence des Jahres 2021, Toshio Hosokawa, zu seinem Lieblingsbaum erwählt hat. Es ist die Tokio-Kirsche, ein Baum, der wohl wie kein anderer die Symbolik der japanischen Kultur verkörpert. Die prachtvollen Blüten versinnbildlichen Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit. Wer sich auf reichhaltige Ernte der Früchte freut, wird allerdings enttäuscht sein: Diese Zierkirsche bietet nicht einmal den Vögeln attraktives Futter. Aber muss Schönheit immer über sich selbst hinaus nützlich sein?
Auch Hosokawa ist sehr naturverbunden. Er selbst berichtet auf seiner Homepage: «Der Raum, wo sich mein Studio befindet, blickt auf die Berge, und vor dem Fenster wächst ein Kaki-Baum, beinahe in Griffweite. Fünf Meter weiter nisten viele kleine Vögel in einem Bambusgewächs. Wenn ich arbeite, bin ich von diesen Bäumen, von Vögeln und Insekten umgeben und bin immer überrascht vom Reichtum der Klänge, den man in der Natur vorfindet. Im Frühjahr die Stimmen der jungen Vögel, vor allem der Uguisu (Anm.: japanische Nachtigall), in der Regenzeit beginnt das Quaken der Frösche, das im Sommer von den Zikaden übertönt wird. Im Herbst hört man die Stimmen der Insekten sehr deutlich.» Doch Hosokawa, geboren 1955 in Hiroshima, flüchtet nicht in Wald- und Wiesenidylle, ganz im Gegenteil. Im Oratorium «Voiceless voice» setzt er sich mit dem folgenschweren Bombenabwurf über seiner Heimatstadt Ende des Zweiten Weltkriegs auseinander. Den Opfern der Tsunami- und anschließenden Atomkatastrophe in Japan im März 2011 hat er eine Reihe von Kompositionen gewidmet. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse entstanden auch die Opern «Stilles Meer», die im Januar 2016 als Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper unter der Leitung von Kent Nagano uraufgeführt wurde, und «Erdbeben. Träume», uraufgeführt 2018 am Opernhaus Stuttgart.
Für Rudolf Buchbinders «The Diabelli Project» steuerte Hosokawa im Beethoven-Jahr die Variation «Verlust» bei. Hier mag sich ein imaginärer Kreis schließen. Hosokawa und Beethoven, ins Gespräch vertieft, durch den Schlosspark wandernd, über die Beziehung zwischen Mensch und Natur philosophierend. «Die Natur gehört zu mir, weil ich auch ein Teil von ihr bin», sagt Hosokawa. Und Beethoven antwortet: »Kein Mensch kann das Land so lieben wie ich.» So gehen sie einträchtig dahin, unerkannt, nur ein kleiner Junge läuft auf sie zu und will ein Selfie mit den beiden. Hoffentlich löscht er es nie.
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Der männliche Vorname «Kornel» (in extrem seltenen Fällen auch weiblich) ist im deutschsprachigen Raum sehr gering verbreitet und gilt als westslawische und ungarische Variante von «Cornelius». Etymologisch gesehen lässt der altrömische Familienname der Cornelier grüßen, aber auch «der Gehörnte» (von lateinisch «cornu» = Horn) ist enthalten.
Die hingegen weit verbreitete Kornelkirsche (Betonung auf der zweiten Silbe) weist keine Hörner auf, wiewohl der botanische Name «Cornus mas» lautet. Nur ihre Blätter sind leicht behaart und lösen unter Umständen leichte allergische Reaktionen aus. Dafür trägt sie wunderbare dunkelrote (bisweilen auch gelbe, violette und weißliche) Früchte, die ob ihres Vitaminreichtums (C, B und E) als besonders gesundheitsfördernd bekannt und sehr bekömmlich sind, wenn auch im Rohzustand eher säuerlich schmeckend, da sie wenig Fruchtzucker enthalten. Mit Kirschen haben sie übrigens nichts zu tun, es handelt sich um zwei ganz unterschiedliche Gattungen von Früchten. Und wem die Bezeichnung «Kornelkirsche» nicht geläufig ist, der/die kennt vermutlich eine der alternativen Benennungen: Herlitze, Dürlitze, gelber Hartriegel - nicht zu verwechseln mit dem roten Hartriegel, dessen Früchte erstens blauschwarz und zweitens ungenießbar sind -, Hirlnuss, Elschkirsche, Dirndl, Dirndling (Österreich) oder Tierli (Schweiz).
Interview with Georg Friedrich Haas
Die vielseitige Heilwirkung der Früchte hat schon Hildegard von Bingen erkannt. Ob Magengeschwür oder Krampfadern, Darmentzündung oder Zöliakie, Durchfall oder Krebs: Zahlreich sind die angenommenen medizinischen Indikationen. Ob zu Saft, Tee, Marmelade, Likör oder Obstbrand verarbeitet, die aus den Früchten erzeugten Produkte werden sehr geschätzt. Das Holz des Strauchs (oder Baums, je nachdem) ist das härteste Holz in ganz Europa und fand in der Drechslerei und Wagnerei Verwendung für die Herstellung von Werkzeugen, aber auch von Zahnrädern für Mühlwerke und von Holzhämmern für die Bildhauerei, von Lanzen, Speeren und Spazierstöcken (sogenannte Ziegenhainer). Auch das sagenhafte trojanische Pferd soll daraus gezimmert gewesen sein. Das Gewächs ist sehr widerstandsfähig, man findet es oft auch in Gärten und Parks. Kornelkirschen werden über 100 Jahre alt.
Wenn also der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas (geboren in Graz, aufgewachsen in der Bergwelt Vorarlbergs) als Grafeneggs Composer in Residence 2022 eine Kornelkirsche im Schlosspark pflanzt, könnte es sein, dass dadurch viele Erntewillige angezogen werden. Doch Kundige wissen: Erst nach acht bis zehn Jahren sind Früchte zu erwarten, und deren Verarbeitung ist ziemlich aufwendig. Falls die Ernte in Grafenegg also doch nicht allzu opulent ausfällt: Gerade in Niederösterreich bietet sich die Gelegenheit, dieses Obst in Hülle und Fülle aufzufinden. Nämlich im Pielachtal, dem sogenannten Dirndltal, so geheißen nicht wegen der unbestritten attraktiven Weiblichkeit, die im Dirndlgewand posiert, sondern wegen der über 8.000 (laut manchen Tourismusquellen bis zu 40.000, laut Landwirtschaftsministerium immerhin 11.000) Dirndlsträucher. Der Lokalaugenschein ist naheliegend: Zwischen Grafenegg und Ober-Grafendorf liegen 43,7 Autobahnkilometer, die in 29 Minuten zurücklegbar sind.
Die Frage, wie er just auf die Kornelkirsche als Komponistenbaum gekommen ist, beantwortet Haas (68) so: «Die Kornelkirsche - die Kirsche des Herbsts – ist ein Symbol für Liebe und Erotik gealterter Menschen. Sie ist auch ein Symbol für die Liebe zwischen meiner Frau Mollena und mir.»
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Der französische Komponist Philippe Manoury, Grafeneggs Composer in Residence 2023, ist eine facettenreiche Persönlichkeit. Als Kind ist Manoury auf dem Land aufgewachsen, in Corrèze im französischen Zentralmassiv, und blieb seither der Natur intensiv verbunden. Da kann es nicht sonderlich verwundern, wenn mit der Amerikanischen Roteiche die Wahl des Komponistenbaums sehr gezielt getroffen wurde. Er habe gelesen, dass dieser Baum nicht nur eine Lebenserwartung von bis zu zwei Jahrhunderten habe und bis zu 15 Meter Höhe erreichen könne, sondern - für ihn am wichtigsten - auch besonders kälteresistent sei und gerne von Rehen aufgesucht werde, begründete Manoury seine Entscheidung.
Das ist ein überaus sympathisches Kriterium, zumal Rehe, wie auch der Schlossgärtner Alexander Malik bestätigt, tatsächlich im Park von Grafenegg anzutreffen sind. Natürlich eher nicht, wenn gerade das Konzertpublikum das Areal bevölkert, sondern am frühen Morgen, wenn Malik, der den 32 Hektar großen Schlossgarten kennt wie kaum sonst jemand, mit seiner Arbeit beginnt.
Die Roteiche (der deutlichen Lesbarkeit halber bisweilen auch «Rot-Eiche» geschrieben) stammt aus Nordamerika und hat es dort sogar bis zum offiziellen Staatsbaum des US-Bundesstaates New Jersey gebracht: eine bemerkenswerte Karriere. Schon 1691 wurde sie in die Schweiz importiert und hat sich seither auch in Europa vor allem als resistenter Park- und Alleebaum bewährt, aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit, aber auch wegen der schönen Herbstfärbung ihrer attraktiven Blätter. Somit die Geschichte einer erfolgreichen Immigrantin. Sollte man meinen.
Denn die gestrengen Waldökologen sind diesbezüglich unterschiedlicher Meinung und betrachten die Roteiche - Langzeiteinwohnerin hin oder her - bisweilen als invasiven Neophyt. Nun könnte man sich als besorgter Laie fragen, ob denn diese Baumart tatsächlich drauf und dran ist, sich in unseren Wäldern hemmungslos auszubreiten auf Kosten der Alteingesessenen, womöglich Buche, Fichte, Tanne & Co aus angestammten Arealen vertreibt. Die nüchterne Statistik gibt Orientierung: In deutschen Wäldern nimmt die Roteiche einen Flächenanteil von 0,5 Prozent ein. So what?
Und was hat das mit Manoury zu tun, dem renommierten Pionier der Computermusik und anerkannten Erforscher neuer sinfonischer Räume und Strukturen? In seinem vor fünf Jahren entstandenen «Lab.Oratorium», dem letzten Teil seiner «Köln-Trilogie», hat Manoury die humanitäre Krise der vom Ertrinken bedrohten Flüchtenden im Mittelmeer thematisiert. Regisseur Nicolas Stemann hat das Projekt mitentwickelt. Und einmal mehr zeigt sich: Es stimmt nicht, dass Künstlerinnen und Künstler grundsätzlich im Elfenbeinturm leben, abgeschottet von jeglicher Zeitgenossenschaft, von kritischem Bewusstsein und politischer Mitverantwortung.
Vielleicht ist also auch dies eine Facette just dieses Komponistenbaums: ein Memento an die Durchlässigkeit und Überschreitbarkeit von Grenzen, ein Reminder für die Freizügigkeit und Resilienz allen Lebens, für Selbstbehauptung und Schönheit. Mögen sich viele Rehe einfinden an Philippe Manourys Roteiche, und mögen seine «Anticipations» im Schlosspark nachklingen als Erinnerung, aber auch als Widerhall einer utopischen Hoffnung, wie sie jeder wahren Kunst zu eigen ist.
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Er müsse noch darüber nachdenken und kenne sich gar nicht so gut aus mit Bäumen, meinte Enno Poppe, Composer in Residence 2024, im kurzen Trailer auf grafenegg.com zur Frage, welchen Komponistenbaum er denn auswählen würde. Schließlich ist er doch fündig geworden: «Ich fände einen Birnbaum ganz fantastisch, sehr schön, und gut riechend.»
Ästhetik und Wohlgeruch sind überzeugende Kriterien. Davon abgesehen lockt die Frage, was Birnen und Musik miteinander zu tun hätten. Eine ganze Menge, wie sich herausstellt. Zum Beispiel: Die Verbindung zwischen Mundstück und Röhre bei Klarinette und Bassetthorn wird Birne genannt. Aus dem Holz des Birnbaums, das sehr dicht und hart ist, werden nicht nur Blockflöten hergestellt, sondern auch Geigenschnecken. Und der exzentrische Erik Satie komponierte (angeblich als Reaktion auf Debussys Vorwurf mangelnder Form) im Jahr 1903 «Trois Morceaux en forme de poire» (Drei Stücke in Birnenform) für Klavier zu vier Händen – ein durchaus ironisch gemeinter Titel, bedeutet doch das französische Wort «poire» sowohl «Birne» als auch «Trottel».
Nun ist die musikalische Verwandtschaft zwischen Satie und Poppe nicht auf den ersten Blick evident. Eine Gemeinsamkeit könnte in der originellen Titelgebung der Werke Poppes liegen, meist kurz, einsilbig und auf Strukturen, Natur und Material bezogen: «Wald», «Holz», «Äste», «Laub», «Gold» oder «Obst». In einem Interview mit Alexander Moore gibt sich Poppe diesbezüglich bedeckt: «Eine Regel für die Titel habe ich nicht, ich möchte sie aber auch nicht gerne erklären. Die Assoziationen mit der Musik stehen im Mittelpunkt, dabei ist der Titel ja nur ein Angebot.» Vielleicht erscheint ja in absehbarer Zeit ein neues Werk Poppes mit dem Titel «Birne».
Die Kunstgeschichte ist reich an Birnendarstellungen, von Giovanni Bellinis kurios anmutender «Madonna mit Birne» bis zu den «Drei Birnen» von Paul Cézanne. In Österreich schaffte es die Birne - allerdings in verwesendem Zustand - im Jahr 1986 sogar auf eine von Walter Schmögner gestaltete Briefmarke. Und die Literatur? Ältere Semester erinnern sich vielleicht an Theodor Fontanes Gedicht «Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland» (1889), das Eingang in die Schul-Lesebücher fand und in dem es ganz zentral um einen Birnbaum geht. Und Nobelpreisträger Peter Handke berichtet in seinem «Versuch über den Stillen Ort» (2012) über den speziellen Botengang eines Kindes: «Herr Pfarrer, ich soll sie grüßen von meinen Eltern, mit diesen Birnen vom Scheißhausbaum!»
Da wirkt die legendäre «Birne Helene» allerdings vornehmer. Weltweit gibt es übrigens tausende Birnensorten, in den Handel kommen nur fünf bis zehn. Warum dem so ist, wird wohl ebenso wenig zu klären sein wie die Frage, warum man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen soll. Der Komponisten-Birnbaum von Enno Poppe trägt jedenfalls Herbst-/Winterbirnen namens Alexander Lucas. Mögen seine Früchte duften und köstlich schmecken!