Weihnachtskonzert 2024
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Konzerteinführungen aus Grafenegg, die Ohren öffnen
Walter Weidringer über das Programm des Weihnachtskonzert 2024 in Grafenegg.
Veröffentlicht: 22/11/2024
Barocke Festklänge mit Gotteslob
Walter Weidringer
«Gloria in excelsis Deo» — zu Deutsch: «Ehre sei Gott in der Höhe»: Mit diesen Worten beginnt der Hymnus angelicus, also der Engelsgesang, wie ihn der Evangelist Lukas im zweiten Kapitel in der Weihnachtsgeschichte schildert. In der Einheitsübersetzung der Bibel lautet die Stelle:
«In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie, und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens.»
Aus diesem kurzen Text, der in traditionellen Krippendarstellungen gerne auf einem himmlischen Transparent zu lesen ist, einer Schriftrolle über dem Stall mit der Krippe, gehalten von Engeln oder Putten, hat sich das ganze «Gloria» der katholischen Messe entwickelt, das große, musikalisch in der Regel im Jubelton gehaltene Gotteslob.
Und auf ein ausgewachsenes «Gloria» läuft auch das heutige Weihnachtskonzert zu — und zwar in einer besonderen Vertonung, die rund 300 Jahre alt sein dürfte, aber erst vor einem knappen Vierteljahrhundert wiederentdeckt wurde. Doch bevor sie mit diesem «Gloria» beim jungen Georg Friedrich Händel in Italien anlangen, verweilen die Sopranistin Nardus Williams, die Oboistin Emma Black und das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter der bewährten Leitung von Laurence Cummings bei einem Zunftkollegen Händels: Johann Sebastian Bach.
«Sich üben im Lieben, in Scherzen sich herzen»
Johann Sebastian Bach hat eine enorme Zahl von Kantaten geschrieben, die Gipfelwerke ihrer Gattung darstellen. Über die Rolle der Musik in der Kirche hatte es in den christlich-reformatorischen Glaubensrichtungen einst differierende Ansichten gegeben: Während Johannes Calvin generell misstrauisch gegen Musik im Gottesdienst war, räumte Martin Luther dem Gemeindegesang sogar eine zentrale Rolle ein, indem er erklärte, Musik sei per se Gotteslob und Gottesdienst, Erbauungs- und Frömmigkeitshilfe sowie Lehrhilfe für die Verbreitung des Evangeliums. Daher dichtete und komponierte Luther selbst zahlreiche deutsche Kirchenlieder, die in ihrer Wirkung so erfolgreich waren, dass ein erbitterter Gegenreformator wie der Jesuit Conzenius feststellen musste: «Luthers Gesänge haben mehr Seelen umgebracht als seine Schriften und Reden.» Auch die Mehrstimmigkeit verdammte Luther nicht, da er nicht der Meinung war, «das durchs evangelium sollten alle künste [...] zu boden geschlagen werden und vergehen wie etzliche abergeistliche furgeben. Sondern ich wolt alle künste sonderlich die Musica gern sehen im dienst des der sie geben und geschaffen hat.»
Diese liberale Haltung ermöglichte eine Entwicklung, die im 17. Jahrhundert zur Kirchenkantate führte: Ein oder mehrere Gesangssolist:innen, gegebenenfalls mit Chor, werden von Continuo und zumeist weiteren Instrumenten begleitet, wobei die formale Anlage mehrere relativ unabhängige Sätze umfasst und nach einem konzertierenden Eröffnungsstück eine Reihe von einfachen Arien über geistliche betrachtende Texte folgen. Der Theologe und Dichter Erdmann Neumeister (1671 — 1756) schuf schließlich den voll ausgeprägten Kantatentypus, indem er nach Art der italienischen Solokantate die Arien mit Rezitativen abwechseln ließ («… sieht eine Cantata nicht anders aus als ein Stück aus einer Opera, von Stylo Recitativo und Arien zusammengesetzt»); den Text bilden freie Prosa oder Bibelstellen, und den Abschluss macht ein Chorsatz. Obwohl diese Form für den kirchlichen Gebrauch von der Partei der «Pietisten» als zu weltlich abgelehnt wurde, konnte sie sich dennoch durchsetzen und zum zentralen Typus der Kantate des 18. Jahrhunderts werden – sowohl mit sakralem als auch mit säkularem Text.
Einen solchen weltlichen Text besitzt auch die Kantate BWV 202: «Weichet nur, betrübte Schatten» lauten Titel und erste Zeile, und was da weichen soll, ist der Winter. Über sanft bewegten Streicherfiguren in Form zunächst eines ausdrucksvollen Oboensolos und dann des beseelten Gesangs der Sopranstimme bahnt sich der Frühling an: «Frost und Winde, geht zur Ruh’!» Doch kommt dem Ganzen nicht einfach ein meteorologischer Sinn im Jahreskreis zu — denn nach allem, was wir heute wissen, handelt es sich um eine Hochzeitskantate, geschrieben zur Feier einer Eheschließung. Wer da wann geheiratet hat, ist allerdings unbekannt, nicht einmal, ob der Schauplatz Weimar oder noch Köthen gewesen ist. Ein fürstliches Paar kann es nicht gewesen sein, denn dann wären Namen und Anlass bekannt – und vor allem wäre dann eine prunkvolle Besetzung mit Pauken und Trompeten sowie ein geistlicher Text verlangt worden. Ganz einfache Leute sind hingegen auch ausgeschlossen, die hätten sich eine solche Anlasskomposition nicht leisten können, selbst bei einer bescheidenen Haustrauung, für die eine klein besetzte, weltliche Kantate wie diese genau gepasst hätte. Hochzeitskantaten waren auf jeden Fall eine wichtige Einnahmequelle für die Herren Musici, die ihr Salär aufbessern wollten, so auch Bach: Zwei seiner Werke dieser speziellen Gattung sind komplett erhalten (BWV 202, 210), ein drittes als Fragment (BWV 216).
Selbst im Falle der Überlieferung von «Weichet nur, betrübte Schatten» hat ein glücklicher Zufall eine erhebliche Rolle gespielt: 1739 ließ der Gräfenrodaer Komponist und Organist Johann Peter Kellner seinen 13-jährigen Schüler Johannes Ringk die Noten der Kantate abschreiben, vermutlich zu Studienzwecken — und diese fein säuberliche Abschrift ist die einzige erhaltene Quelle des Werks.
Der anonym überlieferte Text nimmt den Frühling als Metapher für das Liebeserwachen, die Musik verwendet außer der Oboe auch Fagott und Violine als virtuos konzertierende Soloinstrumente, die sich an die Seite der Sopranstimme stellen. Höhepunkt ist die Arie «Sich üben im Lieben». Und bei der abschließenden, gleichfalls gesungenen Pavane darf man sich durchaus vorstellen, wie die Hochzeitsgäste sich in Richtung des Büffets bewegt haben.
Konzerte für den Markgrafen von Brandenburg
Unter dem französischen Originaltitel «Six Concerts avec plusieurs instruments» widmete Johann Sebastian Bach im März 1721 dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg, den er bei einem Besuch in Berlin kennengelernt hatte, eine Sammlung von sechs Instrumentalkonzerten, die wohl in den vorangegangenen vier Jahren für die Köthener Hofkapelle entstanden waren, der Bach damals in fürstlichen Diensten vorstand. Seit dem 19. Jahrhundert als «Brandenburgische Konzerte» bekannt, charakterisiert ihre ursprüngliche Benennung diese gattungsmäßig als Concerti grossi einzuordnenden Werke dennoch viel besser: «Mit mehreren Instrumenten» meint die von Konzert zu Konzert wechselnde Besetzung der solistischen Partien — diverse Holz- und Blechbläser, Streicher und gar ein veritables Solocembalo (im fünften Konzert) sind in unterschiedlichen Kombinationen als «Concertino», als virtuose Solistengruppe, dem «Ripieno» des begleitenden Orchesters gegenübergestellt. Dabei ist nicht nur die Besetzung, sondern auch die Faktur von Konzert zu Konzert so individuell und eigentümlich wie möglich gestaltet.
Das Konzert Nr. 1 stellt zum Beispiel eine reiche Holz- und eine Blechbläsergruppe den Streichern gegenüber: Die beiden Hörner lassen gleich im ersten Satz mit hörbar diebischem Vergnügen ihre Jagdrufmodelle in Triolen mit den hurtigen Sechzehntelfiguren der drei Oboen nebst Fagott sowie dem Streichorchester kollidieren. Im lyrischen Adagio werden die kantable Solooboe und eine Violine (Violino piccolo) vor den Vorhang gebeten, bevor an dritter Stelle ein Allegro wieder alle elf Stimmen in prunkvoll schmetternder Weise vereint. Den Abschluss macht eine vielfach gegliederte Folge von Tanzsätzen: Dabei wird ein wiederkehrendes Menuett durch kontrastierende Triosätze unterbrochen. Einer von ihnen ist eine auf Samtpfoten der Streicher daher tapsende Polonaise, aus der dann doch schließlich ein ruppiges Forte losbricht, ein anderer ein fröhlicher Bläsermarsch.
Ein Ausblick auf Dreikönig
Bachs «Weihnachtsoratorium» BWV 248 ist eigentlich gar kein solches — sondern «nur» die Aneinanderreihung der sechs Kantaten zu den einzelnen Weihnachtsfeiertagen bis zum Dreikönigstag, die Bach für die entsprechenden Gottesdienste 1734/35 komponiert hatte. Die heute erklingende Sopranarie «Nur ein Wink aus deinen Händen» stammt dabei aus der abschließenden Kantate für Dreikönig, also zum «Hochfest der Erscheinung des Herrn», nach ihrem Textbeginn als «Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben». Anselm Hartinger, Niklaus Peter und Karl Graf schreiben dazu in ihren musikalisch-theologischen Bach-Betrachtungen: «Tänzerisch und leicht weitet die Sopranarie die Perspektive und stellt die Verhältnisse klar: ‹Nur ein Wink› des Höchsten vereitle und verlache der ‹ohnmächt’gen Menschen Macht› — und ‹nur ein Wort› Gottes beende und wende die Gedanken sterblicher Menschen. Der von verschiedenen barocken Tanzformen inspirierte Satz verbirgt hinter seinem flüssigen Duktus rhythmische Finessen und elegische Akzente.» Dabei gesellt sich eine Oboe d’amore zur Gesangsstimme und tritt mit dieser in einen solistischen Dialog ein.
Concerto «fatto per la Notte di Natale»
Repräsentiert Bachs «Weihnachtsoratorium» in gewisser Weise als letzter und wohl auch einsamer Gipfel die Musizierpraxis des Luthertums auf höchstem Niveau, waren die Traditionen im katholischen Italien andere. Zur Weihnachtszeit zogen von alters her die sogenannten Pifferari nach Rom, Hirten und Volksmusikanten aus dem Umland, die in der Stadt mit Schalmeien (pifferi) und Dudelsäcken (zampogne) musizierten und damit die biblischen «Hirten auf dem Felde» nachahmten und sich etwas Geld verdienten. Der barocke Satztypus der «Pastorale» geht auf sie zurück, imitierte Hirtenmusik in oft wiegender Bewegung und mit Orgelpunkt- oder Bordunklängen. Der Komponist und Geiger Niccolò Pasquali (1718 — 1757), der vor allem in London und Edinburgh wirkte, gibt folgenden Einblick: «Zu Weihnachten hatte jede Familie in Italien eine Krippe mit dem Jesuskind, und an diesem Freudentag gingen die Burschen und Hirten mit ihren Dudelsäcken von Haus zu Haus, stellten sich dem Kind vor und spielten dazu lustige Hirtenweisen.»
Eines der berühmtesten Beispiele, in der eine solche Pastorale als Schlusssatz einem gesamten Concerto grosso einen weihnachtlichen Stempel aufdrückt, ist das mit «fatto per la Notte di Natale» (zu Deutsch: «gemacht für die Weihnachtsnacht») überschriebene, bis heute populäre Concerto Nr. 8 aus der als Opus 6 veröffentlichten Sammlung von Arcangelo Corelli. Die Auswahl für diese Publikation stammt noch von Corelli selbst, diesem schon zu Lebzeiten hochberühmten Komponisten, Violinvirtuosen und Orchesterleiter. Seine Zeitgenoss:innen verehrten ihn als «nuovo Orfeo dei nostri giorni», als «neuen Orpheus unserer Tage»; bei der Drucklegung der Sammlung im Jahr 1714 war er allerdings schon ein Jahr tot. Das macht sie zu einer Art Vermächtnis. Das «Weihnachtskonzert» op. 6/8, so schreibt der Musikwissenschaftler Hans Joachim Marx, der uns noch begegnen wird, «dürfte teilweise, vielleicht auch zur Gänze auf das Concerto zurückgehen, das in Verbindung mit einem Weihnachts-Oratorium Francesco Lancianis am 24. Dez. 1689 im Palazzo Vaticano (nicht in einer Kirche!) gegeben wurde. Daß die berühmt gewordene Pastorale am Schluß des achten Konzertes ad libitum zu spielen ist, belegt die Tatsache, daß Corelli die Verbreitung der Concerti grossi durch Festlegung auf liturgisch oder zeremoniell gebundene Orte und Zeiten nicht behindern wollte.»
«Il Sassone» Georg Friedrich Händel
Wir sind schließlich bei Georg Friedrich Händel angelangt — und damit bei einem «europäischen» Komponisten par excellence. Schon früh durch seine musikalische Begabung bekannt geworden, kam der Hallenser 1703 nach Hamburg, wo er sich erste Sporen als Opernkomponist verdienen konnte. Kontakte zu italienischen Fürsten ließen ihn 1706 auf eine Studienreise etwa nach Florenz, Rom, Neapel und Venedig gehen, die ihm den Spitznamen «Il Sassone» eintrug, «der Sachse». 1710 trat er dann das Amt des Hofkapellmeister des Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover an, reiste aber bald mehrfach nach England, um dort als Impresario und Komponist mit seinen italienischen Opern Furore zu machen. 1714 bestieg der Kurfürst als George I. den britischen Thron — und Händel komponierte für den Königshof nicht bloß Lustbarkeitsstücke wie etwa die «Water Musick», sondern auch Werke mit politischer Dimension. Und als solche sind letztlich auch die Oratorien anzusehen, große Schöpfungen in jener neuen Gattung, mit der Händel dem schwindenden Interesse für die Oper begegnete. Ungeachtet seiner Herkunft war es Händel möglich, sowohl im deutschen, italienischen, französischen und englischen Stil für das jeweilige Publikum überzeugende Werke zu schaffen — und schließlich in seiner Reifezeit Elemente aus allen diesen Einflüssen logisch zu vereinen.
Die beiden heute auf dem Programm stehenden Werke stammen aus Händels früher Zeit. Sein Oboenkonzert g-Moll HWV 287 dürfte in Hamburg entstanden sein, doch alle autographen Quellen sind verloren. Das Werk beginnt im Typus der französischen Ouvertüre mit einem Grave voll punktierter Rhythmen; das folgende Allegro ist im vorwiegend homophon-virtuosen Stil abgefasst. Nach einer gravitätischen Sarabande, Largo moderato e cantabile, in der die Oboe sich lyrisch verströmt, greift ein abschließendes Allegro Motive des ersten Satzes wieder auf, formt sie aber in tänzerischer Weise um — und gibt dem Soloinstrument nochmals Gelegenheit, ins Rampenlicht zu treten.
Späte Wiederentdeckung: Händels «Gloria»
In obskurem Halbdunkel befand sich hingegen lange Zeit jene mehrsätzige «Gloria»-Vertonung, mit der das heutige Weihnachtskonzert in Grafenegg sein strahlendes Ende findet. 1983 wurde es in der musikwissenschaftlichen Literatur erstmals erwähnt, als Zufallsfund in den Archiven der Royal Academy of Music in London, doch der Quellenforscher stufte die Zuschreibung zu Händel als «höchst zweifelhaft» ein. Denn, so muss man wissen: Händel war eigentlich mehr als sorgfältig in der Erfassung seiner eigenen Werke, und dieses «Gloria» befand sich nicht in seiner einstigen eigenen Bibliothek, deren Großteil über Umwege schließlich in die Bestände der Royal Academy eingegangen war. Also blieb die Fachwelt beim vorläufigen Urteil: «nicht echt».
Erst im März 2001 sollte dann die Nachricht rund um den musikalischen Globus eilen: «neuer» Händel entdeckt! Dem schon erwähnten Hans Joachim Marx, Professor an der Universität Hamburg, war der Nachweis von Händels Autorschaft gelungen, und auch für die Provenienz konnte er eine zufriedenstellende Hypothese liefern: Demnach sei das Gloria «Teil einer von William Savage zusammengestellten Sammlung» gewesen, «eines langjährigen Weggefährten Händels und regelmäßigen Sängers in seinen Opern und Oratorien — zuerst als Knabensopran, später als Bass», wie Curtis Price im Booklet der Ersteinspielung des Gloria zusammenfasst, die übrigens der Dirigent des heutigen Abends, Laurence Cummings, im Jahr 2001 vorgelegt hat. Auch andere musikhistorisch bedeutsame Teile der Savage-Sammlung, die über einen anderen Umweg in die Royal Academy Eingang gefunden hatte, waren bis zu ihrer Wiederentdeckung der Forschung nicht bewusst gewesen.
Über die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte dieses «Gloria» ist nichts bekannt, gewisse Dinge kann man aber aus der Musik selbst schließen, wie Curtis Price ausführt: «Dem Stil nach zu urteilen, muss es aus Händels letzten Hamburger Jahren oder den ersten zwei, drei Jahren in Italien (1706–08) stammen. Der Vokal- und Instrumentalsatz ähnelt dem des ‹Laudate pueri Dominum› in F-Dur, das Händel in Hamburg komponierte, kurz bevor er zu seiner Bildungsreise nach Rom, Florenz und Venedig aufbrach. ‹Laudate pueri› ist für dieselbe Besetzung geschrieben (Sopran, zwei Violinen und Basso Continuo); in beiden Stücken gibt Händel dem Sopran brillante Passagen und lange, hohe Noten, die von den Violinen mit geschäftigen Terzen unterstützt werden.»
Das «Gloria» ist im Stil einer Kantatenmesse in sechs Sätze gegliedert, der erste und der letzte sind «stilistisch und motivisch verwandt», wie Curtis Price weiter ausführt, «wodurch sie eine geschlossene Form bilden. […] Im ruhigen Zentrum steht das ‹Gratias› im Dreiertakt mit seinen einfachen, herzerweichenden Kadenzen, die Händel später in langsamen Opernarien verwenden sollte, um das Pathos zu verstärken. […] Der Schlussabschnitt erinnert uns daran, dass der Zelebrant dieser speziellen Messe ein Sopran ist; die virtuose Darstellung wird durch den liturgischen Text in keiner Weise beschränkt — vielleicht ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass das Stück für Rom komponiert wurde, wo der Hang zum Theatralischen, anders als die Oper selber, nie unterdrückt werden konnte.»