«Parsifal» oder: Richard Wagners 2. Jesus
Von Edwin BaumgartnerUm Richard Wagners «Parsifal» wabern Schwaden des Mysteriums. Ist da was dran? Oder hat der Dichter-Komponist sich selbst und seine letzte Oper so brillant in Szene gesetzt, wie es nur ein Künstler versteht, der zugleich genial und beispiellos egomanisch veranlagt ist? Nämlich, indem er Bühnenwerk religiös untermauerte und damit gleichsam unangreifbar machte? Denn wer wagt es schon im ausgehenden 19. Jahrhundert christliches Denken zu kritisieren? In unserer säkularisierten Gegenwart ist das etwas anderes. Aber damals?
Da musste einer schon ein Friedrich Nietzsche sein und sich vom Mitleidsgedanken, der die Basis des Christentums darstellt, höchst angewidert fühlen, dass er dem «Parsifal» am Zeug flickte und den Bruch mit dem bisherigen Freund herbeiführte.
Obwohl: Es ist eine schöne Legende, diese Entzweiung über eine philosophische Frage. Doch Legendenbildung gehört nun einmal zum «Parsifal».
Wagner & Nietzsche: Vom Freund zum Feind
Die Wahrheit ist weit profaner. Schon 1874 setzte es Krach zwischen Wagner und Nietzsche. Der Philosoph brachte die Noten des «Triumphlieds» mit nach Bayreuth, ein Werk das ausgerechnet von Wagners erbittertem Gegner Johannes Brahms stammt. Und Nietzsche lobte es in den höchsten Tönen. Dergleichen war eine Todsünde in der Villa Wahnfried.
Ob Nietzsche bewusst gestichelt hat, weil Wagner den Liedern und Klavierstücken seines musikbegeisterten, als Komponist aber dilettierenden Freundes wenig abgewinnen konnte? Wer will es sagen? Zumal Nietzsche wissen hätte müssen, dass im Bayreuther Olymp nur ein Gott lebte, und der war Wagner selbst.
Man begann auseinanderzudriften – und erst recht, nachdem Wagner den Arzt Nietzsches über seine Vermutung informiert hatte, dass dessen gesundheitliche Probleme wohl von einem Übermaß an Masturbation verursacht würden. Nietzsche erfuhr davon und dürfte zu allem Überfluss Päderastie verstanden haben.
Die Rache folgte in der Schrift «Menschliches Allzumenschliches», deren ersten Teil er Wagner übersandte, der nun lesen musste, dass er kein Genie war, weil Nietzsche das Genie an sich anzweifelte. Nietzsche seinerseits las in ihm zur gleichen Zeit übersendeten Widmungsexemplar des «Parsifal»-Textes all das christliche Brimborium, das ihn doch dermaßen abstieß.
Für Nietzsche war Wagner glatt unter die Pfaffen gegangen! Die Ironie Wagners, der in der Widmung seinem Namen in Anspielung auf den christlichen Inhalt der Oper die Bezeichnung «Ober-Kirchenrath» hinzufügte, hatte Nietzsche längst kein Gefühl mehr.
Wagner & das Christentum
Wagner und sein Verständnis von Christentum ist überhaupt ein eigenes Kapitel. In den revolutionsgeprägten 1845er Jahren lehnte er die Kirche ab, weil er sie an der Seite der Mächtigen sah und ihr vorwarf, Christus zu verraten.
Doch Wagner war gewiss kein Atheist. Immerhin nötigte er seine zweite Frau Cosima, die streng katholisch erzogene Tochter Franz Liszts, zum Protestantismus überzutreten (was vielleicht auch mit der Möglichkeit einer Eheschließung zu tun hatte: Beide waren geschieden, Wagner von Minna Planer, Cosima von Hans von Bülow), und er wollte den jüdischen Dirigenten Hermann Levy überreden, sich christlich taufen zu lassen, ehe er die Uraufführung des «Parsifal» dirigierte.
Wagner unterschied sehr wohl zwischen dem «Pfaffen-Christentum», wie er es nannte, und seiner eigenen christlichen Überzeugung, die er in der Novelle «Eine Pilgerfahrt zu Beethoven» einem sterbenden Musiker in den Mund legt:
Darüber hinaus fand Wagner die Gestalt Jesu Christi anziehend, wenngleich er sie fern aller Dogmatik interpretierte. In seinem «dichterischen Entwurf» «Jesus von Nazareth» (1849) ist der Gottessohn in erster Linie ein hippieartiger Liebes-Revolutionär: «Ich erlöse euch von der Sünde, indem ich euch das ewige Gesetz des Geistes verkünde; dieses Gesetz aber ist die Liebe, und was ihr in der Liebe tut, kann nie sündig werden», legt Wagner Jesus in den Mund.
Die Botschaft des «Parsifal»
Das Werk war als Drama geplant und sollte nie zur Oper werden, denn Wagner empfand es als geschmacklos, Jesus von einem Tenor singen zu lassen.
Man sollte das ebenso im Hinterkopf behalten, wie Wagners Plan, in «Die Sieger» eine Oper über Buddha zu schreiben. Die Verschmelzung von Christentum und Buddhismus, den Wagner durch Arthur Schopenhauers Interpretation kennenlernte, ist der Keim des «Parsifal». Die Erlösung durch Liebe ist Vergangenheit: Nun geschieht die buddhistische Erlösung von der Liebe im zweiten Akt, während im dritten Parsifal im Sinn der mittelalterlichen Mystik geläutert durch Irrwege die Szene betritt. Damit entwirft Wagner im Parsifal eine zu Christus parallele Erlösergestalt. Der Unterschied ist, dass Parsifal nicht stellvertretend leidet, sondern durch sich selbst, sein Beispiel, den Weg der Erlösung zeigt. Geheimnisst man zu viel in den Text, wenn man die Heilung, die Parsifal dem an einer ewigen Wunde leidenden Amfortas bringt, interpretiert als Wagners Erlösung vom dogmatischen Christentum zugunsten einer synkretistischen Heilslehre auf der Basis einer allumfassenden Agape, die an die Stelle des Eros tritt?
Ein «Bühnenweihfestspiel» nennt Wagner seinen «Parsifal» – nur, dass die Weihe diesem Werk, anders als bei herkömmlichen religiösen Spielen und Musikwerken, nicht aus christlichem Anlass innewohnt, sondern eine Interpretation von Christentum mit reichlichen buddhistischen Zutaten aktiv verbreitet. Liebt einander, und seid einander wohlgesinnt: Das ist die Botschaft des «Parsifal».
Der Dritte Akt beim Karfreitagskonzert in Grafenegg
Im Karfreitagskonzert in Grafenegg erklingt nur der Dritte Akt. Dank Wagners dramatischer Technik, jede Bühnensituation in Dialog und Monolog zu erklären, ist das gut möglich. Dieser dritte Akt reflektiert das Geschehen der ersten beiden Akte, fasst es zusammen und führt es zu einem Ende, dessen Musik ein derart helles Licht verbreitet, dass es scheint, der Klang würde das Auge blenden.
Was hätte wohl Nietzsche dazu gesagt?
Denn zuletzt muss doch noch ein Bogen zurück führen zu Wagners Freund, der über dem «Parsifal» sein Feind wurde. Erst später sollte sich auch Nietzsche von «Parsifal» überwältigt zeigen: Nachdem Nietzsche 1886, drei Jahre nach Wagners Tod, in Monte Carlo das Vorspiel des «Parsifal» gehört hatte, notierte er: