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Keine Angst vor neuen Tönen!

Von Altbekanntem & neuer Musik

Veröffentlicht: 10/04/2025

Mit «neuer Musik» ist es so eine Sache: Alle sind sich einig, dass es sie braucht, aber kaum jemand mag sie hören. Von Johann Sebastian Bach bis Anton Bruckner besteht eine unausgesprochene Verabredung, dass die Werke ohnehin gut sind und dass sich nur noch über Qualität der Interpretation streiten lässt. Geht es um zeitgenössische Musik, gerät das Vokabular an seine Grenzen: Wie will ich beurteilen, ob die Geigerin gut spielt, wenn ich nicht einmal die Komposition durchschaue? Auf welches Terrain begebe ich mich, wenn ich mich auf ein Gespräch darüber einlasse? Bin ich vielleicht einfach zu dumm, zu unkultiviert, zu ungebildet? Ist alles nur eine Frage des guten oder schlechten Geschmacks? 

Die Spielpläne der großen Konzertinstitutionen verhalten sich wie Eltern, die ihren Kindern Gemüse unterjubeln: Versteckt im Lieblingsessen. Felix Mendelssohn Bartholdy und Ludwig van Beethoven schmecken mir, also schlucke ich auch den Jörg Widmann. Wenn das oft genug gelingt, mag ich am Ende doch noch einen Nachschlag. Und mit der Zeit möchte ich vielleicht mehr davon auf dem Teller als die üblichen zehn bis dreißig Prozent. Zum absoluten Veganismus bringen es wenige, denn qualitativ hochwertige Nahrung wird idealerweise direkt ab Hof (zum Beispiel bei den Donaueschinger Musiktagen) oder im Biosupermarkt (Wien Modern) gekauft.

Das diesjährige Programm in Grafenegg bietet eine ausgewogene Mischkost und setzt den Schwerpunkt auf Musik, die im Zeichen der Revolution und Renaissance steht: Im Vorsommer vereinen die beiden jungen Residenzorchester – das Grafenegg Academy Orchestra und das EUYO – Klassiker wie Mendelssohn, Beethoven, Dmitri Schostakowitsch und Antonín Dvořák mit neuen Klängen von Jörg Widmann. Das Festival selbst bringt neben Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Igor Strawinski, Camille Saint-Saëns, Anton Bruckner und Modest Mussorgski auch Musik von Max Bruch und George Enescu sowie eine zeitgenössische Arbeit von Anna Clyne. In diesem Kontext wird selbst das, was auf den ersten Blick nach Kanon aussieht, noch einmal neu gedacht, lädt dazu ein, als Experiment und Erweiterung von Hörgewohnheiten verstanden zu werden. 

Rasenplätze
Rasenplätze © Lisa Edi

Die Wahrheit der Zeit

Die Qualität von Musik als überzeitliche Wahrheit zu verstehen, in der ein Genie sich mit den Herzen der Hörer:innen zu einer transzendenten Welt aufschwingt, kann sich zwar wohlig anfühlen, verkennt aber ein wichtiges Element: Das heute Gewohnte war einst neu, befremdlich und heiß umkämpft.

Beide Perspektiven, die Selbstverständlichkeit der Tradition und die Sprengkraft des Neuen, wurzeln in einer «Wahrheit der Zeit». Trivial gesagt: Wenn sich eine Gesellschaft wandelt – oder erstarrt –, muss auch die Kunst neue Schritte wagen oder stehen bleiben – und vice versa. Die neue Musik des 19. Jahrhunderts etwa, die heute ganz selbstverständlich das Repertoire bestimmt, reagiert auf ein Erstarken des Bürgertums und einer radikal veränderten Auffassung dessen, was Kunst leisten muss: Individuen, die nicht mehr ausschließlich in exklusiven Settings verkehren, zu vereinen.

Im Konzertsaal bildet sich ein neuer Kreis von Menschen, die sich gleichermaßen von adliger Kultur und dem Proletariat distanziert. Bildung und Geld setzen nun die Maßstäbe. Das Bedürfnis nach Selbstversicherung und der Anspruch an intellektuelle Offenheit verlangen nach einer Musik, die Grenzen auf die Probe stellt und gleichzeitig festigt. Und gleichzeitig fallen die ersten Bürger (samt Anhängseln wie Ehefrauen und Töchter) vom Glauben ab, vergessen ihren revolutionären Anspruch und werden als Spießer den Künstler:innen spinnefeind. Die Hassliebe der Kreativen zum Publikum kristallisiert in der Frage, ob und wie Musik verstanden wird, relevante Inhalte transportiert oder bloße Selbstbeschäftigung ist.

Während die einen ihre Verständnislosigkeit zum guten Ton machen, kämpfen Komponistinnen (Überraschung: auch die gab es) und Komponisten gegen das Unverständnis an. In einem Brief an den Vater vom 10. Dezember 1830 rechnet bereits Felix Mendelssohn Bartholdy mit der zunehmenden Erstarrung ab: 

«[H]at und verfolgt aber ein Mensch eine bestimmte Richtung, und bildet er sie nach seinen Kräften aus, um damit die Sache weiter zu bringen, so habe ich ihn lieb und glaube, dass ihn ein jeder achten soll, einerlei, ob er langweilig oder angenehm sei. […] Mich macht es jedesmal innerlichst grimmig, wenn Menschen, die gar keine Richtung haben, sich damit abgeben wollen, über andere zu urtheilen, die etwas wollen, und sei es das Kleinste […].»
Felix Mendelssohn Bartholdy

Die Sehnsucht nach dem Erfolg

Felix Mendelssohn Bartholdys Kampf mit der Angst vor dem Publikum äußert sich in der Arbeit an den «Hebriden»: Ein Urlaub nach einer anstrengenden Konzertsaison in England verschlägt ihn buchstäblich ans Ende der Welt. Der Ausflug auf die winzige Insel Staffa, 50 Kilometer von der schottischen Küste gelegen, eine Ansammlung von Felsen, die zeitgleich auch William Turner inspiriert, setzt einen mühsamen Prozess in Gange. Was als persönliche Auseinandersetzung mit der Landschaft begann, verfolgt ihn in den nächsten vier Jahren auf den Stationen von Rom bis Paris. Die unbewohnte Insel bleibt immer präsent (so auch im gleichnamigen ersten Titel des Werks). In dutzenden Briefen kündigt er die Komposition an, spielt kleine Passagen auf dem Klavier vor, überarbeitet, steht immer knapp vor der Fertigstellung, bleibt dennoch permanent auf der Suche nach Fehlern und fürchtet sich vor der Öffentlichkeit. Aus Paris schreibt er im Januar 1832 an seine Familie: 

«Die ‹Hebriden› aber kann ich hier nicht geben, weil ich sie […] noch nicht als fertig betrachte; der Mittelsatz im forte Ddur [sic] ist leider sehr dumm, und die ganze sogenannte Durchführung schmeckt mehr nach Contrapunkt, als nach Thran und Möven […].»

Ein Jahr später klingt die Komposition offenbar klug und fischig genug, um in Berlin uraufgeführt zu werden. Mendelssohns Zögern und Zaudern hat sich gelohnt: «Die Hebriden» gerät prompt zum Publikumsrenner. Ihr Erfolg ist sogar so durchschlagend, dass selbst der selbsterklärte Erzfeind Wagner, bekanntlich Antisemit vor dem Herrn, lobende Worte findet. 

In der Tradition des Stimmungsbildes steht Anna Clyes «Restless Ocean» auf dem Programm des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Im Gegensatz zu Mendelssohn, der in den «Hebriden» seine Betrachtungen in eine geradezu bildnerische Landschaft überführt, setzt sich Clyne der Natur selbst aus. Das Undarstellbare, Fragmentierte und Repetitive des Wassers wird zur Herausforderung für die Musik. Clynes bald meditativer, bald durch experimentelle Instrumentierung geprägter Ozean bringt sich selbst hervor, lädt dazu ein, sich hineinzustürzen, mit jeder Faser in die Klangwelt einzutauchen. 

Weitaus mystischer geht es beim (in diesem Fall) von Wagner beseelten Bruckner zu. Wie Mendelssohn vom Erfolgsdruck getrieben, arbeitet er ein knappes Jahr an der Symphonie Nr. 4 Es-Dur, verzweifelt beinahe an der geplatzten Uraufführung 1877, schreibt ganze Sätze neu und bringt es zunächst lediglich zu einer halböffentlichen Präsentation auf zwei Klavieren. Wie Mendelssohn versucht Bruckner ein Bild widerzugeben – diesmal aber nicht als Studie einer relativ abstrakten Landschaft, sondern als Rückbesinnung auf eine (nie dagewesene) mittelalterliche Verklärung à la «Lohengrin». Bei der Symphonie Nr. 4 ist der Beiname «Romantische» Programm. Auch wenn Bruckner selbst das Stück als sein verständlichstes betrachtet, lebt es gerade vom Ausschalten des Verstands. Mit einem quasi religiösen Anspruch versucht es seine Hörer:innen um den Finger zu wickeln, in Schönheit zu fesseln. Am Ende gibt auch Bruckner der Erfolg recht, die 4. wird zu einem der meistgespielten Werke zu Lebzeiten. Tatsächlich ist nichts an dieser Musik mehr störend, sie hüllt neue Klänge in alte Gefühle, berechtigt und verstärkt jede Emotion. 

Entsetzliche Menschen

Dass Marketing nicht nur über Inhalt funktioniert, sondern auch von guten Bildern, schlägt sich in der zunehmenden Faszination für die Komponist:innen selbst nieder. Während die längste Zeit lediglich Virtuosität das Publikum angezogen hatte, rückt zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Mythos des verkannten Genies in ins Zentrum.

Auf dem Weg zur Taubheit, grantig und eigenbrötlerisch, von Napoleon, dem er noch die 3. Symphonie gewidmet hatte, enttäuscht, hat Beethoven zur Entstehungszeit der Symphonie Nr. 7 genug Erfahrung mit der wankelmütigen Haltung des Publikums: Die 1. Symphonie, noch in der Tradition Haydns und Mozarts, war ein Erfolg, doch ab Nr. 2 werden die Werke (mit Ausnahme von Nr. 4 und der gemischten Kritik zu Nr. 6) zu unverständlich, zu lang, zu anstrengend und zu hermetisch. Doch der zeitgenössischen Faszination am sperrigen bis gänzlich unwilligen Beethoven tut das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: Das Publikum wartet nur auf die nächste Uraufführung. 

Mitten in der Arbeit an der Symphonie Nr. 7 ergibt sich ein Treffen zwischen dem selbsternannten Dichterfürsten Goethe mit dem Komponisten, das bezeichnend für die Haltung der Zielgruppe ist. Der alternde Goethe schwankt zwischen jovialer Großzügigkeit und Unverständnis, schreibt an seine Frau: 

«Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andre genußreicher macht.»
Johann Wolfgang Goethe

Während sich der eine gut gesichert an Charakterstudien abarbeiteten kann, muss der andere ganz pragmatisch dafür sorgen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen – und verachtet die Trägheit des übersättigten alten Mannes. Beethoven, der einem frühen Drama Goethes entsprungen sein könnte, notiert trocken:

«Göthe behagt die Hofluft sehr, mehr als einem Dichter ziemt.»

Mit der 7. Symphonie erkennt und erfüllt er ein Bedürfnis des Wiener Publikums und landet er endlich wieder einen Hit. Die mutigen rhythmischen Entscheidungen, die expandierte Struktur, patriotisches Pathos und melodische Eingängigkeit scheinen so ausgewogen ineinander zu greifen, dass Expert:innen und Liebhaber:innen entzückt sind. Schon bei den ersten Aufführungen des mit Stars besetzten Orchesters bricht der Saal in Jubel aus und klatscht eine Wiederholung nach der anderen herbei. Schlecht gelaunt, krank und resigniert produziert Beethoven intellektuelle Popmusik. Und das Publikum beweist sich, dass es das Ungezähmte, Widerständige kontrollieren, dass die eigene Gunst über das Genie bestimmen kann. 

© Lisa Edi

Sprechen und Schweigen

Wie steht es aber um die Annahme, dass uns Künstler:innen mit ihrer Musik etwas sagen wollen? Die Suche nach Transzendenz, die noch weite Teile des 19. Jahrhunderts dominiert hatte, wird unter neuen politischen Vorzeichen vom kommunikativen Anspruch der Musik in die Schranken gewiesen.

Statt «l’art pour l’art» (oder pour l’âme) zu verlangen, beginnt sich das Publikum langsam über die engen Grenzen des Konzertsaals hinauszubewegen. Der neue Mensch verlangt nach in Noten verpackten politischen Positionen, in jeden Takt wird eine Kritik oder Bestärkung der Mächtigen hineingedeutet. Geschieht das ohne Selbstzeugnisse der Komponist:innen, kann es schnell zur magischen Beschwörung werden – nutzbar für die jeweilige Ideologie. Da sich Regierende und Regierte auf die potenzielle Sprengkraft der Musik einigen können, bestimmt auch die Furcht vor subtilen Botschaften die Kulturpolitik.

Mit dem European Union Youth Orchestra, in dem sich junge Musiker:innen grenzüberschreitend zusammentun, ist in Zeiten der Wiedergeburt autoritärer Regimes ein politisches Projekt prädestiniert für die Aufführung von Schostakowitschs Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107. Schostakowitschs Verhältnis zur Macht ist nach wie vor ein heiß umkämpftes Feld. Ebenso wechselhaft wie die politische Realität, mal Opportunist oder Kritiker, mal linientreuer Parteisoldat oder subtiler Antagonist, wird er die meiste Zeit seines Lebens entweder von der westlichen Fachwelt missverstanden oder von der staatlichen Zensur unter Beobachtung gestellt. Vom international gefeierten jungen Hoffnungsträger wird er zum Haus- und Hofkomponisten der Sowjets, gerät bald selbst unter Druck, muss seine Arbeiten ständig anpassen, um den strengen Vorgaben des stalinistischen Regimes zu entsprechen. Gleichzeitig produziert Schostakowitsch Werke auf Reserve, unaufgeführte Musik für eine Zeit nach Stalin.

1959, in einer kurzen Phase der kulturpolitischen Entspannung, schreibt er das Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107. Bei seiner Uraufführung wird das Stück zum Sinnbild der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es trifft mit seiner ungebändigten Emotionalität den Nerv der Zeit und wird zum Kassenschlager. Doch der eigentliche Trick liegt in einem reaktionären Moment: indem Schostakowitsch seine Komposition mit folkloristischen Motiven durchzieht, mit der Tradition die jüngste Geschichte von beiden Seiten einklammert und zum Sonderfall macht. 

Eine Mischung moderner Formensprache mit dem Bedürfnis des Publikums nach der guten alten Heimat verbindet Schostakowitschs Cellokonzert mit Antonín Dvořáks 70 Jahre früher uraufgeführten Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88, die heuer vom EUYO unter der Leitung von Vasily Petrenko gespielt wird. Anders als Schostakowitschs Heilungsversuche stellt Dvořák die Folklore in den Dienst einer neuen tschechischen Identität. Einige Zeit vor der Entstehung seiner Symphonischen Dichtungen uraufgeführt, steht die Symphonie in der jungen Tradition der romantischen Programmmusik à la Smetana, verpackt volkstümliche Melodien in klassischen Formen. Doch genauso wie die zeitgleich entstehenden Nationaltrachten ist diese Folklore ein ideologisches Konstrukt: Die bürgerlichen Adressat:innen sitzen in Konzerthäusern und genießen bäuerliche Klänge in romantisierender Form, statt sich wirklich mit nichtbürgerlichen Lebensrealitäten beschäftigen zu müssen. Das politische Programm richtet sich noch nicht wie Schostakowitschs Cellokonzert ans Proletariat, sondern schielt auf das Bildungsbürgertum als Motor der Veränderung. 

Ähnlich verhält es sich mit George Enescus Rumänischer Rhapsodie Nr. 1 A-Dur op. 11, die – beinahe aus der Zeit gefallen – noch 1901 Klänge und Rhythmen rumänischer Volksweisen in die Musik integriert. Die spätromantischen Schulen, die gemeinsam mit Malerei und Literatur am Programm der Nationalstaatlichkeit mitwirken, appropriieren das «echte Leben» und überführen es in ein Konsumgut, das sich erst aus der Distanz genießen lässt. Wie Nippes in den Vitrinen gehobener Haushalte machen sie Nationalismus dekorativ. Folgerichtig verstört ein Überschuss an unvermittelter Sinnlichkeit: Tschaikowskis zeitgleich mit Dvořáks verklärter Heimatromantik entstandenes Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35, zu dessen Uraufführung der Komponist reichlich Überzeugungsarbeit leisten musste, wird von einem Kritiker als Musik, «die man stinken hört», verdächtigt.

Unter gänzlich anderen Vorzeichen stehen die drei Stücke Strawinskis, die beim diesjährigen Festival zu hören sind: Zwar basieren sie auf volkstümlichen Stoffen und Motiven, aber ohne volkstümelnd zu sein. Strawinski verbindet politische Positionen mit Unterhaltungsformaten der neuen Massenkultur, versteht es neue Formate zu bespielen. Die Musik zu «Der Feuervogel», ursprünglich als Diasporawerk für die renommierten Ballets Russes geschrieben und später zu einer Suite verarbeitet, setzt auf ein Publikum, das unterhalten werden will. Auch die beiden Orchesterstücke «Scherzo à la Russe» und «Vier norwegische Impressionen», die eigentlich als Filmmusik vorgesehen waren, zielen nicht mehr auf ein elitäres Konzertpublikum, sondern auf breite Wirkung ab.

Fürchtet euch nicht

Spätestens seit Strawinski kann die Mitwirkungspflicht von Komponist:innen an der Interpretation zur Falle werden. Nicht mehr nur eine missratene Uraufführung bestimmt die Kritik, sondern die Referenzeinspielung dient als gültige, «richtige» Version. Camille Saint-Saëns hatte das Glück, sein Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 22 vor Erfindung der Tonträger aufzuführen. Bei der Premiere des in nur 17 Tagen geschriebenen Stücks übernahm er – in der Tradition der Einheit von Komponist:in und Dirigent:in bzw. Solist:in – den virtuosen Klavierpart selbst, hatte aber in der Kürze der Zeit nicht ausreichend üben können. Die angerichtete Blamage ließ das Publikum wenig begeistert zurück. Mit einigem Zögern unternahm Saint-Saëns kurz darauf weitere Versuche und schafft es schließlich, das Stück zu einem seiner beliebtesten Werke zu machen. 

Mit Jörg Widmann leitet ein deutlich positiver rezipierter Komponist das eigene Violinkonzert No. 2. Hier wird die Auseinandersetzung der Zuhörer:innen mit neuer Musik nicht zuletzt von der Faszination befeuert, den Schöpfer persönlich am Pult zu sehen. Über die Figur des präsenten Künstlers öffnet sich am selben Abend auch ein neuer Blick auf die «Hebriden» Mendelssohns und die 7. Symphonie Beethovens: Widmann schreibt sich nicht nur in eine Tradition ein, sondern aktualisiert seine Vorgänger und transportiert ihren Mut und Experimentierwillen ins Heute. Wie Mussorgskis «Bilder einer Ausstellung» erst in der bunten Instrumentierung Maurice Ravels das Orchesterrepertoire erobert haben, katapultiert Widmann das Vergangene zurück ins Leben. Denn Musik als ständiger Prozess, der nur in der jeweiligen Gegenwart erfahrbar sein kann, muss immer wieder neu gedacht werden. 

Vielleicht ist die Sache ganz einfach: Wenn auch Beethoven einmal neue Musik war, bevor er unter der Käseglocke des unantastbaren Klassikers gelandet ist, löst sich das Verhältnis zwischen neu und alt auf. Noch weiter gedacht: Auch Beethovens Musik ist nur so lange tot (oder in Aufnahmen gewissermaßen untot), bis sie in der zeitlichen und räumlichen Gegenwart erklingt. Dass Widmann oder Clyne in den unzähligen Konzertführern fehlen, ist ihr Glück. Denn eigentlich sollte man auch alles vergessen, was über die 7. Symphonie geschrieben wurde. Musik zu verstehen, bedeutet nämlich in erster Linie, sich ihr mutig auszusetzen, keine Angst zu haben. Sie beißt nicht.

Alle erwähnten Konzerte

auf einen Blick
    Grafenegg Academy Orchestra
    Sommerklänge Green Event
    12/07/2025 Sa 20.00 Uhr

    Klangwunder

    Grafenegg Academy Orchestra · Carolin Widmann · Jörg Widmann

    MENDELSSOHN BARTHOLDY / WIDMANN / BEETHOVEN

    Wolkenturm
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