Joe Zawinul's Music Odyssey
Welturaufführung: Mediterranean SuiteVeröffentlicht: 15/05/2024
Unter Künstler:innen gibt es so viele, die die Meisterschaft, die andere ihnen zuschreiben, einfach nicht wahrhaben wollen. Sie quälen sich mit Selbstkritik, suchen nach immer neuen Wegen der Optimierung und glauben trotz aller Bemühungen doch niemals ans Ziel zu kommen. In diese Kategorie Mensch gehört einer ganz bestimmt nicht: der Keyboarder und Komponist Joe Zawinul (1932 – 2007).
Dieser Weltbürger mit Wiener Wurzeln und Mitbegründer der amerikanischen Kultformation Weather Report war zweifellos ein Pionier, ein Neuerer, eine Ikone, ein Klangmagier mit unverkennbar eigenem Sound, ein Musiker, den auch ungeübte Ohren vom ersten Ton an ohne große Mühe erkennen konnten. Er war sich seiner einsamen Klasse bewusst. Überliefert ist die geäußerte Selbsteinschätzung, dass er in seinem Leben noch nie einen falschen Ton gespielt habe.
Selbstbewusstsein ohne Zweifel
Hat er denn jemals so etwas wie Zweifel gehabt? Bei unserer ersten Begegnung antwortet er ohne das Fragezeichen abzuwarten und wie aus der Pistole geschossen: «Nie in meinem Leben!» Und als ob das nicht reicht, setzt er noch einmal nach: «Das gibt es nicht in meinem Leben!»
Schon unser Kennenlernen war kurios. Eine Lektion in Sachen Selbstbewusstsein. Wir treffen uns 1996 in der Lobby eines Münchner Hotels. Beim kurzen Smalltalk vor dem offiziellen Interview fällt der Begriff «Hip Hop». Da gehen bei Zawinul die Augenbrauen hoch und als hätte er auf das Stichwort nur gewartet, sagt er:
«Hip Hop? Weißt Du, wer das erfunden hat? I woar des. Hör dir mal auf dem Weather Report-Album ‹Sweetnighter› den Titel ‹125th Street Congress› an und achte genau auf den Beat. In den 70er Jahren habe ich schon immer mit Drums herumexperimentiert. Und diesen Beat habe ich selbst auf dem Schlagzeug gespielt. Der einzige Mensch, der ihn damals verstanden hat, war mein Vater. An diesem Beat haben sich viele Rap-Künstler später orientiert und viele haben ihn gesampelt.»
Eine gute Stunde später wird Joe Zawinul während unseres Interviews folgende Einschätzung zu seinem ersten großen orchestralen Werk «Stories of the Danube» abgeben: «Ich habe immer gefühlt, wenn ich eine Symphonie schreibe, kann ich das genauso gut wie ein Beethoven oder Mozart.»
Er bemerkt die Belustigung seines Gegenübers:
Spannende Lehrjahre
Dass auch ein Joe Zawinul nicht gleich als Innovator auf die Welt gekommen ist, weiß er selbst. Im Interview erinnert er sich an die Zeit, als er für satte neun Jahre als Pianist in den Diensten des großen Altsaxofonisten Julian «Cannonball» Adderley stand:
«Ich hatte damals überhaupt keinen eigenen Stil. Auch ich war lediglich ein Kopist. Und doch gab es in meinem Spiel etwas, das anders war. Da war offensichtlich ein Gefühl drin, das speziell den schwarzen Musikern getaugt hat. Mit dem Pianisten Barry Harris, der damals der beste Bebop-Spieler in New York war, habe ich oft zusammen geübt. Eines Tages traf ich ihn auf der 52. Straße und er sagte: ‹Joe, gerade ist mir etwas Komisches passiert. Ich hörte ein Cannonball Adderley-Stück im Radio und hätte schwören können, dass ich es bin, der da spielt. Aber dann sagte der Ansager, dass das am Piano gerade Joe Zawinul gewesen sei. Gratulation!›»
Zawinul macht eine Pause, als er das erzählt. Dann sagt er:
«Erst habe ich mich natürlich gefreut, denn das war ja als Kompliment gemeint. Aber nach zwei Sekunden ist mir aufgegangen, was das Lob bedeutete. Und das war mein Glück. Ich bin nach Hause gegangen und habe alle meine Platten weggegeben. Und dann habe ich mir geschworen, nie wieder Bebop zu spielen. Nach und nach zeichnete sich dann eine Entwicklung ab.»
Auf der Suche nach Gleichgesinnten
Zwar gab es bei Zawinul schon früh eigene und aufregende musikalische Ansätze, was Solo-Alben aus den wilden 60er Jahren belegen – aber es waren vielleicht charismatische Arbeitgeber wie der legendäre Trompeter Miles Davis, die zum Ende des Jahrzehnts in Joe Zawinul das erkannten, was ihn bald ausmachen sollte.
Mit seinem Klangforschergeist, seinem Experimentierwillen und seiner unermüdlichen Neugier steckte Miles den jungen Tastenmann aus Österreich an, animierte ihn und kitzelte womöglich heraus, was unbedingt heraus musste. Zusammen schufen Miles und Joe Zawinul Bahnbrechendes, Werke wie «In A Silent Way» oder «Bitches Brew».
Was Joe Zawinul beim Entstehen dieser epochalen Alben lernte, nutzte er, als er 1971 mit Gleichgesinnten «Weather Report» ins Leben rief. In dieser Truppe, die sich zunächst als improvisierendes Kollektiv verstand, übernahmen Joe Zawinul und der Saxofonist Wayne Shorter bald das Kommando. Da hatten sich zwei gefunden, zwei, die Neues erschaffen und die Welt mit all ihrer Klangvielfalt willkommen heißen wollten, zwei, die nichts unversucht ließen und trotz ihrer mannigfaltigen musikalischen Interessen nie so etwas wie Beliebigkeit zuließen.
Nein, sie schufen mit wechselnden Mitstreitern eine Unzahl von Klassikern und ein vielschichtiges Klangbild mit hohem Wiedererkennungswert, an dem Joe Zawinul mit seiner Art der Orchestrierung und Stimmführung, seinem Sinn für Klangfarben und seinem Gefühl für die Möglichkeiten der Rhythmik gewaltigen Anteil hatte. Zawinul und Shorter wollten elektronische Musik schaffen, die sich akustisch anfühlt.
Ein echter Weltbürger
Auch nach dem Ende dieser für den Jazz der damaligen Zeit so einflussreichen Band nutzte Zawinul mit seiner Formation The Zawinul Syndicate die Ideale von Weather Report, zeigte sich aber noch weltoffener als zuvor. Er ließ westafrikanische und karibische Einflüsse miteinander tänzeln, setzte mongolische Obertongesänge oder maghrebinische Rhythmen ein und und und. Nicht umsonst nannte er eines seiner Alben «My People» (1996). «My People – das ist nicht weiß oder österreichisch. My people are everywhere», wird in einem der zwei langen Interviews sagen, die wir miteinander führten.
Der Kosmopolit Joe Zawinul war ein Kind der Stadt, in der er in seinem letzten Lebensabschnitt den Jazzclub Birdland gründete und die ihm nach all seinen Meriten, nach all seinen unlöschbaren Einträgen in die Musikgeschichte den Wiener Ehrenring der Stadt in Gold verlieh.
Die Zawinuls hatten Vorfahren, die aus Tschechien, aus Ungarn und von den Sinti stammten. Manch einer will diese Wurzeln auch heute noch in der Musik des 1932 geborenen Josef Erich Zawinul ausmachen. Der lernte als Bub zunächst Geige sowie Akkordeon und schwört, dass sein Spiel auf der Quetschkommode das, was er später auf Piano und Synthesizern (viele davon selbst entwickelt) machen sollte, nachhaltig beeinflusst habe.
Die Bühne als Schule
Ein Stipendium für eine der Kaderschmieden des Jazz, das Berklee College of Music in Boston, führte ihn schließlich in die USA, das Mutterland des Jazz. Doch Joe Zawinul verbrachte nur ein paar Tage an dieser renommierten Lehranstalt, weil es für ihn dort nichts zu holen gab, was er nicht schon wusste. Seine eigentliche Schule war die Bühne, das Musizieren mit einflussreichen Größen. Die göttliche Sängerin Dinah Washington engagierte den jungen Kerl aus Wien, der bei ihr das effektvolle und unterstützende Begleiten lernen und dann perfektionieren sollte.
1961 wurde Joe Zawinul dann Pianist des Altsaxofonisten Julian «Cannoball» Adderley und bedankte sich für das Vertrauen, in dem er etwa den souligen Jazzhit «Mercy, Mercy, Mercy» zum Repertoire seines Arbeitgebers beisteuern sollte. Cannonball wurde oft angegangen, weil er einen weißen Pianisten in seinem Team hatte und dann auch noch einen aus Österreich. Doch der Saxofonist konterte: «Wenn ihr einen anderen Pianisten an meiner Seite sehen wollt, müsst ihr mir einen bringen, der besser ist.»
Und dieser Pianist war vielleicht so gut, weil er auf seinen Bauch hörte. Zwingende Grooves, schillernde Klangfarben, große nachhaltige Melodien entstehen nun mal nicht im Kopf. «Die wahre Inspiration beginnt da wo das rationelle Denken aufhört», sagte mir Joe Zawinul. Er folgte spontanen Eingebungen und Impulsen und brach, ignorierte, umging dabei oft willkürlich aufgestellte Regeln der Musik. Er ließ sich von seinen Gefühlen leiten, seinem Instinkt, seinem Unterbewusstsein. Er wollte Geschichten erzählen, die aus seinem Innersten kamen.
Legacy am Wolkenturm
Dieser hoch geniale Bauchmensch wird nun im Grafenegger Wolkenturm unter dem Motto «Joe Zawinul’s Music Odyssey» mit einer Hommage ausgiebig gefeiert – von der Zawinul All-Star Big Band unter dem Dirigat von Markus Geiselhart, der auch einen Großteil des Programms neu arrangierte, vom radio.string.quartet.vienna, von einem Streichorchester unter Beteiligung des inn.wien.ensemble mit dem Solisten Michael Hornek (Piano) und schließlich von der Zawinul Legacy Band 3.0, der weltbekannte Zawinul-Mitstreiter angehören und Asse, die vom Keyboarder und Komponisten nachhaltig beeinflusst wurden: der Schlagzeuger Omar Hakim, der Perkussionist Bobby Thomas Jr., der Bassist Gerald Veasley, die Keyboarderin Rachel Z. und der Saxophonist Bobby Franceschini.
Aufgeführt werden frisch aufbereitete Klassiker aus dem reichen Œuvre Zawinuls. Und es gibt eine Welturaufführung, die der «Mediterranean Suite» von 1996, in der Joe Zawinul die vielen Einflüsse aus dem Mittelmeerraum in seinem so eigenen Klanguniversum aufgehen lässt.
Dokumentiert wird dieser Abend von Joe Zawinuls Sohn Antony, einem renommierten Filmproduzenten, der auch als künstlerischer Leiter dieses besonderen Events fungiert.