Blog

Alles Walzer!

Tanzen bis zur Morgendämmerung
Markus Hennerfeind
Violine

Veröffentlicht: 10/02/2025

Johann Strauss Sohn komponierte, geigte und dirigierte sich selbst zur lebenden Legende. Sein Ruhm endete aber nicht mit seinem Tod im Jahr 1899, denn bis heute gilt der «Walzerkönig» als einer der gefeierten Helden der Musikmetropole Wien. 2025 jährt sich der Geburtstag von Johann Strauss zum 200. Mal, und die ganze Welt feiert den Jubilar samt Familie – denn das Business lief nur mit seinen Brüdern Josef und Eduard gemeinsam, während Mutter Anna Strauss im Hintergrund fleißig mithalf. Sie alle zusammen machten den Erfolg der Sträuße erst möglich. Die musikalische Basis dafür bereitete Johann Strauss Vater. 

Grafenegg begeht den 200er von Johann Strauss Sohn am 5. Juli 2025 mit einem luxuriösen Festkonzert am Wolkenturm. Sascha Goetzel dirigiert das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Corina Koller, Daniela Fally, Maximilian Mayer und Daniel Schmutzhard schlüpfen in die Rollen von Rosalinde, Adele, Eisenstein, Alfred und weiterer allseits beliebter Figuren, denn: Im Mittelpunkt steht in der zweiten Konzerthälfte «Die Fledermaus», der größte anhaltende Strauss’sche Bühnenhit. Im ersten Konzertteil kommt mit Ouvertüre und Einzugsmarsch aus dem «Zigeunerbaron» deren großartiges Pendant zu Gehör. Das Schaffen Jacques Offenbachs bot Strauss die Anregung, überhaupt das Feld der komischen Oper zu betreten, und der legitime Nachfolger als Operettenkomponist war Franz Lehár: Beide sind mit Ouvertüren vertreten, zu «Orpheus in der Unterwelt» der eine und zum «Land des Lächelns» der andere. Und welcher Walzer seines früh verstorbenen, kongenialen Bruders Josef, den manche bis heute für den begabtesten Strauss halten, muss wenn irgendwie möglich unter freiem Himmel gespielt werden? Natürlich die wahrhaft himmlischen «Sphärenklänge». Das gesellschaftspolitische Umfeld, in dem Johann Strauss seine Erfolge feiern konnte, wird am besten durch den «Kaiser-Walzer» repräsentiert: Ohne die höfische wie bürgerliche Tanzbegeisterung in einem imperial, königlich und fürstlich geprägten Europa hätte der Wiener Walzer niemals seinen bis heute hohen Stellenwert erringen können. 

Daniela Fally
Daniela Fally © Philipp Jelenska

Johann Strauss Sohn wird gern als «erster Popstar der Musikgeschichte» tituliert. Liest man ein wenig nach in alten Zeitungsberichten, finden sich wunderbare Belege für die Popularität, die er in sämtlichen Gesellschaftsschichten genoss. Zudem wurden Vater wie Sohn auch von ihren jeweiligen musikschaffenden Zeitgenossen geschätzt, von Hector Berlioz bis Richard Wagner. Mit Johannes Brahms verband Johann Strauss Sohn sogar eine Freundschaft, sie tarockierten beide gerne und achteten die Kunst des jeweils anderen, wenn auch mit einer gewissen Distanz. Brahms zeigte sich begeistert, wenn er von einem Werk überzeugt war, wie vom Walzer «An der schönen blauen Donau». Doch mit seiner Ablehnung so manch späterer Operette hielt er ebenso wenig hinter dem Berg. Eine berühmte Fotografie zeigt Brahms und Johann Strauss 1894 in Ischl, das Porträt einer speziellen Beziehung. Heute liegen die sterblichen Überreste der beiden, als müsst’s so sein, nebeneinander in Ehrengräbern auf dem Wiener Zentralfriedhof. 

Strauss und Brahms
Strauss und Brahms © Rudolf Krziwanek, Public domain, via Wikimedia Commons

Gefeiert in der ganzen Monarchie

Doch wie kann man sich vorstellen, wie das war, wenn Johann Strauss Sohn die Bühne betrat? Im Oktober 1884 wurde im Theater an der Wien Strauss’ 40-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert. Der Bericht in der «Neuen Freien Presse» vom 16. Oktober 1884 verrät die Begeisterung des Publikums und fasst auch die Tanzlaune der Menschen aufs Bunteste zusammen:

«Wer heute [am 15. Oktober 1884] bei der Festvorstellung im Theater an der Wien nicht seine geraden Sinne hübsch beisammen hielt, konnte leicht zu dem Glauben verführt werden, daß Alles, was da lebt und webt, auch zugleich tanzt und geigt und singt, daß alle Sterne ewig im Tanzschritte streifen und unsere Erde nichts als ein unendlich großer Ballsaal ist, in welchem die Menschen tolle Galoppaden aufführen, die dringendsten Berufsquadrillen tanzen, die edelsten Polkaziele verfolgen, kurz in einem himmlisch übermüthigen Reiche leben, dessen König Johann I. genannt ist. Die Verfassung dieses Wunderlandes ist in leichtbeflügelten Rhythmen geschrieben und hat nur einen einzigen wichtigen Paragraph: Du sollst und musst tanzen!»

Und weiter heißt es da: 

«So war denn auch die tanzende Jugend Wiens und das noch rüstige Mittelalter, ja auch das weise Alterthum war in zahllosen Deputationen herbeigeeilt, um dem Liebling der Stadt und des Landes die herzlichste Huldigung darzubringen. Das Haus war von einem festlich gestimmten Publicum in allen Räumen dichtgefüllt, und als Strauss an seinem mit Lorbeer und Rosen geschmückten Pulte erschien, donnerte ihm ein Jubiläums-Applaus entgegen, welcher sich fortwährend zu verstärken schien, je gerührter der Meister sich verbeugte, um mit stummer Gebärde für die stürmischen Zurufe, für die begeisterten Beifallszeichen zu danken.»

Man verehrte Strauss, liebte seine Musik, man gierte nach seinen Walzern und Polkas, deren Zahl über die Jahre in schönster Regelmäßigkeit angewachsen war. Dabei hätte auch alles ganz anders kommen können … 

Der Vater als Gegner

Wäre es nach Vater Strauss gegangen, hätte sein ältester Sohn Johann gar nie die Bühne betreten, und auch der zwei Jahre später geborene Josef sowie der jüngste Sohn Eduard sollten keinesfalls Musiker werden. Doch die Buben wuchsen in einem Musikerhaushalt auf, es wurde ständig geprobt, gespielt, komponiert. Vater Strauss, ein als jähzornig, stets überarbeitet und allgemein schwierig beschriebener Mann, war viel auf Konzertreisen. Eine Affäre mit der erst 19-jährigen Modistin Emilie Trampusch, die schwanger wurde, führte zu einer «Zweitfamilie» mit stetig wachsender Kinderschar – und zu entsprechenden Komplikationen. Anna Strauss duldete die Nebenbeziehung ihres Ehemannes vorerst schweren Herzens, doch wie so oft gehen elterliche Probleme an Kindern nicht spurlos vorbei. Der älteste Sohn spürte die Verzweiflung seiner Mutter und beschloss, zwar in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, aber mit dem klaren Ziel, ihn zu übertreffen und zu seiner größten Konkurrenz heranzuwachsen. 

All das musste möglichst unbemerkt geschehen, und so arbeitete Johann Junior zielstrebig, aber so geheim es halt ging, an seiner musikalischen Ausbildung. Das hatte eines Tages zur Folge, dass er vom Polytechnikum flog, worauf der Vater beschloss, er solle nun zum Bankkaufmann ausgebildet werden. Doch der Sohn widersetzte sich und verdiente sich das Geld für seinen eigenen Geigenunterricht mit Klavierstunden. In Joseph Drechsler, dem Komponisten der Musik zu den Ferdinand-Raimund-Zauberstücken, fand er einen idealen Kompositionslehrer. Ende Juli 1844 nun suchte der noch minderjährige Johann beim Wiener Magistrat an, als Musikdirektor arbeiten zu dürfen. Währenddessen reichte Mutter Strauss die Scheidungsklage gegen Vater Strauss ein, um endlich klare Verhältnisse zu schaffen. Und so versandeten die väterlichen Proteste gegen die Ambitionen seines Sohnes, der, wenige Tage vor seinem 19. Geburtstag, am 15. Oktober 1844 in Ferdinand Dommayers Casino in Hietzing (wo heute das Parkhotel Schönbrunn steht) als «Capellmeister und Compositeur» debütierte. Damit war der Grundstein gelegt. 

Der langsame Aufstieg zum «Walzerkönig» begann allerdings erst nach dem plötzlichen Tod von Vater Strauss, der 1849 nur 45-jährig einer Scharlach-Infektion erlag. Denn, was heute kaum mehr im Bewusstsein verankert ist: Vater Strauss trug den inoffiziellen Titel «Walzerkönig» noch bis weit über seinen eigenen Tod hinaus. Strauss Sohn vereinigte sein Orchester bald mit dem des verstorbenen Vaters, wurde 1863 zum «k.k. Hofball-Musikdirektor» ernannt und schrieb bis 1870/71 ausschließlich Tanzmusik – Walzer, Polkas, Quadrillen, Märsche … Das war auch die Zeit, als die Bezeichnung «Walzerkönig» vom langsam in Vergessenheit geratenen Vater auf den stets präsenten Sohn überging. Das Ziel, dereinst den Vater nicht nur einzuholen, sondern zu übertreffen, rückte daraufhin in greifbare Nähe. Denn durch Jacques Offenbach und dessen Bühnenstücke reifte in Strauss langsam der Wunsch, selbst Operetten oder «komische Opern» zu komponieren. Spätestens damit hob er sich von seinem Vater ab, der dem Genre Tanzmusik treu geblieben war und nie für die Bühne komponiert hatte. Von den 15 Operetten des Sohnes Strauss sind bis heute zwei mit Abstand die beliebtesten: «Die Fledermaus» und «Der Zigeunerbaron». Außerdem sind auch noch «Eine Nacht in Venedig» oder das (posthum fertiggestellte und uraufgeführte) «Wiener Blut» populär.

Einspielen am Wolkenturm
Musiker auf der Bühne am Wolkenturm © Lisa Edi

«Noch ein Sträußchen von Strauss»

Die «Wiener Sonn- und Montagszeitung» jubelte am 6. April 1874 in der Uraufführungskritik der «Fledermaus» über den Komponisten:

«Man frage die Fürstin Hohenlohe oder einen Schneidergesellen, den Grafen Grünne oder einen Deutschmeister, den Oberstaatsanwalt oder einen Gefängniswärter, den Professor Hyrtl oder ein Wäschermädl – sie Alle kennen Johann Strauss gleich gut, sie Alle schwärmen für ihn oder haben schon für ihn geschwärmt, je nach ihrer Art. Nein, bei allem Respect vor unsern Ministern und Bankdirectoren und Balletteusen und Volkssängerinnen, es gibt in Wien keinen populäreren Namen als den von Johann Strauss, jeder kennt ihn, jeder singt ihn, jeder pfeift ihn und jeder tanzt ihn. […] Gestern kam nun das dritte Bühnenwerk von Johann Strauss, die komische Operette Die Fledermaus› am Theater an der Wien zur Uraufführung. […] Was nun die Strauss’sche Musik in ihrer Gesammtheit anbelangt, so ist der Compositeur diesmal mehr als in seinen früheren Bühnenwerken seinen eigenen originellen Weg gegangen. Für die ‹Fledermaus› scheint denn auch weder die Bezeichnung ‹Operette› noch ‹komische Oper› […] richtig zu sein; es ist ein musikalisches Lustspiel, wenn man will, ein höheres Sing- oder Liederspiel […] in seinem ganzen unwiderstehlichen Elan tritt uns in der ‹Fledermaus› der echte Johann Strauss entgegen.»

An das scharf kritisierte Libretto und die ganze Geschichte der «Fledermaus» mussten sich das Publikum und die Kommentatoren erst noch gewöhnen, doch die Musik verhalf dem Stück bald zum Welterfolg. Dieses Potenzial erkannte freilich nicht jeder, und so können wir heute über den Verriss im «Express» vom 7. April 1874 nur schmunzeln:

«Johann Strauss’ ‹Komische Operette›, betitelt: ‹Die Fledermaus›, flatterte zum ersten Mal durch’s Haus und da ihr die musikalische[n] Flügel und der librettistische Schweif zu armselig kurz geworden waren, so fiel sie durch – die arme ‹Fledermaus›. […] Die Fledermaus dürfte bald ausgeflattert haben.»

Nun, die «Fledermaus» bevölkert bis heute in unzähligen Inszenierungen die Musiktheater der Welt und hat es auf eine erkleckliche Zahl an Einspielungen und Verfilmungen gebracht. Und der «Zigeunerbaron»? Schon in der Zeit vor Social Media wusste die Menschheit genau Bescheid, wo sich ihre Heroen herumtrieben und was sie wo genau taten. In mehreren Zeitungsmeldungen um 1884/85 ging es stets um den bloßen Umstand, dass Johann Strauss komponierte, und zwar ein neues Bühnenwerk. Und man fieberte der Uraufführung entgegen, die sich mehrmals verschob, und auch die Ankündigung im «Prager Tagblatt» vom 27. September 1884 musste später revidiert werden:

«Johann Strauss hat die Musik zu Jokai’s ‹Zigeunerbaron› bereits componirt und ist gegenwärtig mit der Instrumentirung beschäftigt. Das Werk gelangt Ende November im Theater an der Wien zur Aufführung.»

Dem war nicht so: Bis zum 24. Oktober 1885 mussten sich die Straussianer gedulden, bis die neue Operette im Theater an der Wien endlich herauskam. In der «Neuen Freien Presse» ist darüber zu lesen:

«Die neue Operette von Johann Strauss, ‹Der Zigeunerbaron›, ist heute mit einem von Act zu Act sich steigernden Erfolge in Scene gegangen. Es war ein heiter bewegter Abend, der zu den glücklichsten des Meisters gehört. ‹Ich versprach euch einmal ungarisch zu kommen!› hören wir den Liebling der tanzenden Wiener schon seit zwei Jahren uns versprechen; heute endlich hat er seine Zusagen in klingender Münze eingelöst, und wir sahen den wienerischesten aller Wiener Componisten mit magyarisch verschnürten Walzern, mit Märschen und Polkas erscheinen, die uns in Kalpak und Dolman zuerst gar wunderlich anmuthen. Aber nicht lange währt die Maskerade, bald bricht die Wiener Mundart des Meisters siegreich durch, und so bleibt der ‹Zigeunerbaron› eine österreichische Operette, obgleich nur der letzte Act im Schatten des Stephansthurmes spielt. Sollte sie aber jenseits der Leitha als gemeinsame Angelegenheit, als Delegations-Operette reclamirt werden, so beantragen wir, des lieben Friedens halber, den Ungarn einige Dialoge des Textbuches zu überlassen und uns die Musik zu behalten. […] Strauss wurde nach den Actschlüssen so oft und so stürmisch gerufen und sah dabei so glücklich zerstreut aus, dass alle Welt glaubte, er habe in diesen Zwischenpausen soeben wieder eine neue Operette im Kopfe fertig gemacht.»

Johann Strauss II
Johann Strauss II © Fritz Luckhardt, Restored by Adam Cuerden

Die Harmonie des Kosmos in Grafenegg

Josef Strauss’ «Sphärenklänge», 1868 uraufgeführt und «den Hörern der Medizin an der Hochschule zu Wien» gewidmet, zählt zum Großartigsten des ganzen Walzer-Genres. Die österreichische Tageszeitung «Fremden-Blatt» würzt ihren Uraufführungsbericht freilich mit einem Tadel, der einem Missverständnis entsprang:

«Josef Strauss hatte den Medizinern einen neuen Walzer, ‹Sphärenklänge›, gewidmet, welcher lebhaften Anklang fand. Die Melodie dieses Walzers war besser als sein Titel, da es einen eigenthümlichen Eindruck machte, auf dem Medizinerballe musikalisch an’s ‹Jenseits› erinnert zu werden.»

Die «Sphärenklänge» sind nun gar nicht dem Leben nach dem Tode vorbehalten, sondern bedeuten die aus der Antike stammende Vorstellung einer Harmonie des Kosmos: Josef Strauss verleiht dieser überirdischen Schönheit eine betörende musikalische Gestalt. In Grafenegg findet diese Vereinigung von Tönen und Kosmos unter freiem Himmel am 5. Juli 2025 ihren schönsten Ausdruck.

Doch noch einmal zurück zu seinem Bruder: Johann Strauss Sohn ist es gelungen, alle Gegensätze zu vereinen, das Populäre in die Sphäre des Hochgeistigen zu heben und dort auch dauerhaft zu etablieren. «Die Fledermaus» ist das einzige Werk aus der Welt der Wiener Operette, das im Repertoire der großen Opernhäuser seinen fixen Platz behauptet. Strauss ist es gelungen, dass die Tanzmusik außerhalb des Ballsaals ein Eigenleben führt, in Silvester- und Neujahrskonzerten ebenso wie zu jeder Zeit des Jahres, als Erinnerung an eine tanzwütige Vergangenheit, als man den Alltag im Rausch des Walzers zum Fest erhob. In den Walzerketten schlummern so manch zarte, schwerblütige Melodien, und die resümierenden, himmlischen Walzer-Codas tragen eine tiefe Melancholie in sich. Und ist eine zarte Polka française nicht ganz selbstverständlich einem innigen langsamen Satz einer großen Symphonie ebenbürtig? Genau in diesen Momenten offenbart sich die Persönlichkeit des selbst so gar nicht fröhlich tanzenden Johann Strauss Sohn, dort zeigt er sich und erlaubt einen Blick in seine Seele. 

  • Da JavaScript dekativiert ist, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Da dein Browser nicht supportet wird, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu geringer Bandbreite werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu schwacher Hardware werden einige Inhalte nicht geladen.